Boris Pasternak
sind.«
»Natürlich. Wir kaufen eins.
Du bist gescheit, Tonja! Aber Onkel Kolja, Onkel Kolja! Denk bloß!
Ich kann es nicht fassen!«
»Ich habe einen Plan. Wir
teilen uns oben einen Winkel ab, dort werden wir wohnen, Vater, Saschenka,
Njuscha und wir, in zwei oder drei Zimmern mit Verbindungstüren, an einem Ende
des Obergeschosses, und auf das übrige Haus verzichten wir ganz. Wir werden uns
abschirmen, so wie man sich gegen die Straße abschirmt. Ein solches Eisenöfchen
in das mittlere Zimmer, das Ofenrohr durchs Fenster, Waschen, Kochen,
Lebensmittel, Mahlzeiten, Gäste, alles dort oben, um den Ofen auszunutzen, dann
können wir vielleicht mit Gottes Hilfe den Winter überstehen.«
»Was denn sonst? Natürlich
überstehen wir den Winter. Da gibt es keinen Zweifel. Das hast du dir großartig
ausgedacht. Tüchtig. Weißt du was? Wir werden die Annahme deines Plans feiern.
Wir braten meine Ente und laden Onkel Kolja zur Wohnungseinweihung ein.«
»Großartig. Mischa Gordon muß
uns Sprit mitbringen. Den bekommt er in einem Labor. Und jetzt schau. Dies ist
das Zimmer, von dem ich sprach. Ich habe es ausgesucht. Bist du zufrieden?
Stell den Koffer auf den Fußboden und hol den Korb herauf. Außer dem Onkel und
Gordon können wir auch Nika Dudorow und Schura Schlesinger einladen, wenn du
nichts dagegen hast. Weißt du noch, wo unser Waschraum ist? Reibe dich dort mit
dem Desinfektionsmittel ab. Ich geh zu Saschenka, schicke Njuscha runter, und
wenn es soweit ist, rufe ich dich.«
Die wichtigste Neuigkeit in
Moskau war für ihn dieser Junge. Als Saschenka gerade geboren war, wurde Juri
Shiwago einberufen. Was wußte er von seinem Sohn?
Eines Tages, schon eingezogen,
war er vor der Abfahrt noch einmal in die Klinik gegangen, um Tonja zu
besuchen. Gerade wurden die Kinder gestillt. Man ließ ihn nicht zu ihr hinein.
Wartend saß er im Vorraum. Der
lange Korridor der Kinderabteilung, von dem im Winkel der Korridor zur
Entbindungsstation abging, in dessen Zimmern die Mütter lagen, füllte sich mit
dem weinerlichen Chor von einem Dutzend Säuglingsstimmen; die Pflegerinnen
trugen die gewindelten Neugeborenen eilig, damit sie sich nicht erkälteten, zu
zweien unter den Armen wie große Bündel mit Einkäufen und brachten sie den
Müttern zum Stillen.
»Ua, ua«, piepsten die Kleinen
eintönig, fast ohne Gefühl, es war wie eine Pflichtübung, nur eine Stimme hob
sich aus diesem Unisono ab. Das Kind schrie auch »ua, ua«, auch ohne einen
Unterton von Leiden, aber offenbar nicht als Pflichtübung, sondern in einem
bewußten, mürrischen, unfreundlichen Baß.
Damals hatte Juri Shiwago
schon beschlossen, den Sohn nach seinem Schwiegervater Alexander zu nennen,
Saschenka. Irgendwie kam er auf die Idee, daß es sein Sohn war, der so schrie,
denn es war ein Weinen mit einer eigenen Note, das bereits den künftigen
Charakter und das Schicksal des Menschen in sich barg, ein Weinen mit einer
Klangfarbe, die den Namen des Jungen, Alexander, in sich beschloß, so dachte
Juri Shiwago.
Er hatte sich nicht geirrt.
Später stellte sich heraus, daß da wirklich Saschenka geweint hatte. Dies war
das erste, was er von seinem Sohn wußte.
Das weitere Kennenlernen
geschah mit Hilfe von Fotografien, die Tonja ihm an die Front schickte. Sie
zeigten einen fröhlichen, hübschen Knirps mit großem Kopf und vorgeschobenem
Mündchen, der breitbeinig auf einer ausgebreiteten Decke stand und beide
Armchen hochhob wie im Tanz. Damals war der Junge ein Jahr alt und lernte
gehen, jetzt war er fast zwei und begann zu sprechen. Juri Shiwago hob den Koffer
auf, schnallte die Riemen ab und legte ihn auf den Spieltisch am Fenster. Was
war dies früher für ein Zimmer gewesen? Der Arzt erkannte es nicht. Offenbar
hatte Tonja die Möbel hinausschaffen lassen oder es neu tapeziert.
Der Arzt öffnete den Koffer,
um sein Rasierzeug herauszuholen. Zwischen den schlanken Säulen des
Glockenturms draußen vor dem Fenster stand der helle Vollmond. Als sein Licht
auf die Wäsche im Koffer, auf die Bücher und Toilettengegenstände fiel, war ein
anderes Licht in dem Zimmer, und der Arzt erkannte es wieder.
Es war der ausgeräumte
Abstellraum seiner verstorbenen Schwiegermutter Anna Iwanowna. Früher hatte sie
hier zerbrochene Tische und Stühle und altes Schreibzeug aufgehoben. Hier war
ihr Familienarchiv, und hier standen auch die Truhen, in denen die Wintersachen
den Sommer über verwahrt wurden. Zu Lebzeiten der Verstorbenen waren die Ecken
bis zur
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