Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
Vom Netzwerk:
Augenmaß mal zu stark, mal zu schwach. Dabei zeigte
sich, daß der ungleichmäßige Rausch infolge der wechselnden Stärke unangenehmer
war, als wenn man gleichmäßig starken Sprit getrunken hätte. Auch das
deprimierte.
    Das traurigste aber, dieser
Abend war ein Abrücken von den Zeitumständen. In den Häusern auf der anderen
Seite der Gasse wurde in diesem Moment kaum so getrunken und gegessen. Vor den
Fenstern lag das stumme, dunkle und hungrige Moskau. Die Läden waren leer, und
an Dinge wie Wildbret und Sprit hatte man zu denken vergessen.
    Und da zeigte sich, daß nur
ein Leben, das dem der Mitmenschen gleicht und spurlos darin aufgeht,
wirkliches Leben und daß eine abgesonderte Freude keine Freude ist, folglich
waren Ente und Sprit, in der ganzen Stadt wohl nur hier vorhanden, kein Sprit
und keine Ente. Das betrübte am meisten.
    Die Gäste selbst gaben
ebenfalls Anlaß zu unfrohen Überlegungen. Gordon war ein guter Kerl gewesen,
solange er schwerfällig dachte und sich trübsinnig und verworren ausdrückte. Er
war Shiwagos bester Freund. Im Gymnasium war er beliebt gewesen.
    Nun aber gefiel er sich selbst
nicht mehr und hatte ungünstige Korrekturen in sein Persönlichkeitsbild
eingebracht. Er tat munter, spielte den Scherzbold, erzählte fortwährend etwas
mit Anspruch auf Witzigkeit, sagte häufig »interessant« und »ulkig«, Wörter,
die nicht aus seinem Wortschatz stammten, denn er hatte das Leben nie als
Zerstreuung aufgefaßt.
    Bevor Nika Dudorow kam,
erzählte er die, wie er meinte, lustige Geschichte von dessen Heirat, die unter
den Freunden umging. Shiwago kannte sie noch nicht.
    So erfuhr er, daß Dudorow vor
Jahresfrist geheiratet hatte und sich bald darauf wieder scheiden ließ. Die
unwahrscheinliche Würze dieses Abenteuers bestand in folgendem.
    Dudorow war irrtümlich
eingezogen worden. Während er Soldat war und man an der Aufklärung des
Mißverständnisses arbeitete, mußte er häufig Strafdienst tun wegen
Schlafmützigkeit und Nichtsalutieren auf der Straße. Nachdem er entlassen
worden war, fuhr seine Hand beim Anblick von Offizieren noch lange nach oben,
es flimmerte ihm vor den Augen, und er glaubte überall Achselklappen zu sehen.
    In dieser Zeit ging ihm alles
daneben, und ihm unterliefen verschiedene Mißgriffe und Fehlhandlungen. Einmal
lernte er auf einer Anlegestelle an der Wolga zwei junge Mädchen kennen,
Schwestern, die wie er auf den Dampfer warteten, und aus Zerstreutheit wegen
der vielen Offiziere ringsum, die zu grüßen er sich seit seiner Soldatenzeit
verpflichtet fühlte, sah er nicht richtig hin, verliebte sich und machte der
jüngeren Schwester überstürzt einen Heiratsantrag. »Ulkig, nicht wahr?« fragte
Gordon. Aber er mußte seine Geschichte abbrechen, denn vor der Tür ertönte die
Stimme ihres Helden. Dudorow kam herein.
    Mit ihm hatte sich eine
Wandlung in umgekehrter Richtung vollzogen. Aus dem labilen, unausgeglichenen
Windbeutel war ein konzentrierter Gelehrter geworden. Als junger Mann war er
aus dem Gymnasium ausgeschlossen worden, weil er an der Vorbereitung einer
politischen Flucht mitgewirkt hatte. Eine Zeitlang hatte er sich in
verschiedenen künstlerischen Lehranstalten herumgetrieben, bis es ihn
schließlich in die klassischen Gefilde drängte. Später als seine Kameraden
schloß er während des Krieges seine Studien ab und übernahm an der Universität
zwei Lehrstühle, für Russisch und allgemeine Geschichte. Im ersten Fach
arbeitete er über die Agrarpolitik Iwans des Schrecklichen, im zweiten schrieb
er eine Untersuchung über Saint-Just.
    Von alldem erzählte er jetzt
liebenswürdig mit halblauter und irgendwie erkälteter Stimme, dabei blickte er
verträumt auf einen Punkt, ohne den Blick zu senken und zu heben, als hielte er
eine Vorlesung.
    Gegen Ende des Abends, als
Schura Schlesinger scharfe Attacken ritt und alle Anwesenden, ohnehin schon
erhitzt, durcheinanderschrien, fragte Dudorow, mit dem Shiwago seit ihrer
Schulzeit per »Sie« war, ein paarmal: »Haben Sie >Krieg und Frieden< und
die >Wirbelsäulenflöte< gelesen?«
    Shiwago hatte ihm längst
gesagt, was er hierüber dachte, aber Dudorow hatte es in dem allgemeinen Streit
überhört, darum fragte er etwas später noch einmal:
    »Haben Sie die
>Wirbelsäulenflöte< und den >Menschen< gelesen?«
    »Ich habe Ihnen schon
geantwortet, Innokenti. Ihre Schuld, wenn Sie nicht zuhören. Aber wie Sie
wollen. Majakowski hat mir schon immer gefallen. Er ist eine Art Fortsetzung
von

Weitere Kostenlose Bücher