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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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unterwegs
holen kann... Hast du Läuse?«
    »Ich glaube nicht. Ich bin
komfortabel gereist wie vor dem Krieg. Kann ich mich ein bißchen waschen? Nur
so, auf die Schnelle. Später wasch ich mich dann gründlicher. Aber wo willst du
hin? Warum gehst du nicht durch den Salon? Benutzt ihr jetzt die Hintertreppe?«
    »Ach ja, das weißt du ja noch
gar nicht. Vater und ich haben uns gedacht, wir überlassen einen Teil des
Untergeschosses der Landwirtschaftsakademie. Dann brauchen wir im Winter nicht
selber zu heizen. Auch das Obergeschoß hat noch zuviel Platz. Wir bieten es
ihnen an. Vorläufig wollen sie es nicht. Sie haben hier Lehrkabinette,
Herbarien, Samenkollektionen. Wenn bloß nicht die Ratten kommen. Schließlich
sind das Körner. Aber noch halten sie die Zimmer in Ordnung. Das nennt sich
jetzt Wohnfläche. Hier geht's lang. Sei doch nicht so begriffsstutzig! Wir
nehmen den Umweg über die Hintertreppe, verstehst du? Geh mir nach, ich zeig's
dir.«
    »Das habt ihr gut gemacht, daß
ihr die Zimmer vermietet habt. Ich habe in einem Lazarett gearbeitet, das war
auch in einer herrschaftlichen Villa untergebracht. Endlose Zimmerfluchten, das
Parkett teilweise heil. Die Palmen in den Kübeln haben nachts über den Betten
ihre Finger gespreizt wie Gespenster. Die Verwundeten, erfahrene Frontkämpfer,
sind vor Schreck schreiend aufgewacht. Aber die waren nicht ganz normal, es
waren Verschüttete. Wir mußten die Palmen hinaustragen. Ich will mal sagen, das
Leben der Reichen hatte wirklich etwas Ungesundes. Dieses viele überflüssige
Zeug. Überflüssige Möbel und überflüssige Zimmer, überflüssige Empfindsamkeit,
überflüssige Ausdrücke. Das habt ihr sehr gut gemacht, daß ihr euch
eingeschränkt habt. Aber das ist noch zuwenig. Wir müssen noch mehr abgeben.«
    »Was schaut da aus deinem
Bündel heraus? Ein Vogelschnabel, ein Entenkopf. So was Schönes! Eine Wildente!
Wo hast du die her? Ich traue meinen Augen nicht! Heutzutage ein Reichtum!«
    »Die habe ich im Zug geschenkt
bekommen. Das ist eine lange Geschichte, ich erzähl sie dir nachher. Was meinst
du, soll ich sie auspacken und in der Küche lassen?«
    »Ja, natürlich. Gleich sage
ich Njuscha, sie soll sie rupfen und ausnehmen. Für den Winter wird viel
Schreckliches vorausgesagt, Hunger und Kälte.«
    »Ja, das hört man überall. Im
Zug habe ich zum Fenster hinausgesehen und nachgedacht. Was kann im Leben
wichtiger sein als Frieden in der Familie und Arbeit? Alles übrige steht nicht
in unserer Macht. Es mag wohl stimmen, viele Menschen werden ins Unglück
stürzen. Manche wollen sich nach dem Süden absetzen, in den Kaukasus, und
versuchen sich noch weiter durchzuschlagen. Das gehört nicht zu meiner Art. Ein
erwachsener Mann muß die Zähne zusammenbeißen und das Schicksal seiner Heimat
teilen. Das ist für mich ganz klar. Mit euch ist es etwas anderes. Euch möchte
ich vor Unheil bewahren und irgendwo hinschicken, wo es sicherer ist, nach
Finnland vielleicht. Aber wenn wir auf jeder Treppenstufe eine halbe Stunde
stehenbleiben, kommen wir nie nach oben.«
    »Warte mal. Hör zu. Eine
Neuigkeit. Und was für eine! Fast hätte ich's vergessen. Nikolai Nikolajewitsch
ist hier.«
    »Welcher Nikolai
Nikolajewitsch?«
    »Onkel Kolja.«
    »Tonja, das kann nicht sein!
Wie denn das?«
    »Na, du siehst ja. Aus der
Schweiz. Über London und Finnland.«
    »Tonja, im Ernst? Ihr habt ihn
gesehen? Wo ist er? Kann man ihn nicht jetzt gleich herholen?«
    »Sei nicht so ungeduldig! Er
ist draußen auf einer Datsche. Übermorgen will er kommen. Er hat sich sehr
verändert. Du wirst enttäuscht sein. Auf der Durchreise ist er in Petersburg
steckengeblieben, ist Bolschewik geworden. Vater und er streiten sich die Kehle
heiser. Aber wirklich, warum bleiben wir aufjeder Stufe stehen? Komm. Du hast
also auch gehört, daß wir nichts Gutes zu erwarten haben, Schwierigkeiten,
Gefahren, Ungewißheit?«
    »Ich bin selbst davon
überzeugt. Na wenn schon. Wir werden kämpfen. Es muß ja nicht für alle das Ende
kommen. Mal sehen, was die anderen tun.«
    »Man hört, es wird kein
Brennholz geben, kein Wasser, kein Licht. Das Geld soll abgeschafft werden. Die
Lieferungen werden aufhören. Aber wir stehen ja schon wieder. Komm. Weißt du,
in einer Werkstatt am Arbat gibt es flache Eisenöfchen, die sollen sehr gut
sein. Darauf kann man mit brennendem Zeitungspapier Mittagessen kochen. Jemand
hat mir die Adresse besorgt. Wir müssen eins kaufen, bevor sie alle

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