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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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der
Wolke ein in der Sonne glitzernder warmer Regen, ein Regen, der die Pilze
sprießen läßt. Seine hastigen Tropfen fielen in dem gleichen Tempo, in dem die
Räder des Zuges über die Schienenstöße ratterten, als wollten sie ihn einholen
oder fürchteten zurückzubleiben.
    Doktor Shiwago hatte darauf
noch gar nicht geachtet, als hinter einer Anhöhe die Erlöserkathedrale in Sicht
kam, und im nächsten Moment zeigten sich die Kuppeln, Dächer, Häuser und
Schlote der Stadt.
    »Moskau«, sagte er, ins Abteil
zurückgekehrt. »Wir müssen uns fertigmachen.«
    Pogorewschich stand auf, kramte
in seiner Jagdtasche und suchte eine größere Ente aus.
    »Für Sie«, sagte er. »Zur
Erinnerung. Ich habe einen ganzen Tag in Ihrer angenehmen Gesellschaft
verbracht.«
    Wie sich der Arzt auch
sträubte, es half ihm nichts. »Nun gut«, willigte er gezwungenermaßen ein. »Ich
nehme sie als Geschenk für meine Frau.«
    »Für Ihre Frau! Als Geschenk
für Ihre Frau«, wiederholte Pogorewschich freudig, als hörte er dieses Wort zum
erstenmal, dann machte er mit seinem Körper ruckhafte Bewegungen und lachte so
laut, daß Marquis hervorsprang und in seine Freude einfiel.
    Der Zug rollte an den
Bahnsteig. Im Waggon wurde es dunkel wie in der Nacht. Der Taubstumme reichte
dem Doktor die Wildente, eingewickelt in einen gedruckten Aufruf.
     
    Sechster Teil
     
    Das Moskauer Kriegslager
     
    Während der Fahrt war es ihm
infolge des Stillsitzens im engen Abteil vorgekommen, als führe nur der Zug,
die Zeit aber stünde still und es wäre noch immer Mittag.
    Dabei wurde es bereits Abend,
als die Droschke mit dem Arzt und seinem Gepäck sich mühsam im Schritt einen
Weg aus der gewaltigen Menschenmenge auf dem Smolensker Markt bahnte.
    Vielleicht war es so,
vielleicht aber waren die damaligen Eindrücke des Arztes von der Erfahrung
späterer Jahre überlagert, denn in seiner Erinnerung kam es ihm vor, als hätten
sich die Menschen damals auf dem Markt nur aus Gewohnheit zusammengedrängt,
ganz ohne Grund, denn die Vorhänge an den leeren Marktständen waren
herabgelassen, es hingen nicht einmal Schlösser daran, es gab nichts zum
Handeln auf dem verschmutzten Platz, auf dem die Abfälle nicht mehr weggefegt
wurden.
    Und er glaubte, schon damals
auf dem Bürgersteig die vielen mageren, anständig gekleideten alten Frauen und
Männer bemerkt zu haben, die wie ein stummer Vorwurf an die Passanten dastanden
und wortlos irgend etwas feilhielten, was niemand kaufte und niemand gebrauchen
konnte: künstliche Blumen, runde Spirituskocher für Kaffee mit Glasdeckel und
Pfeife, Abendkleider aus schwarzem Gazestoff und die Uniformen abgeschaffter
Ämter.
    Die einfacheren Leute handelten
mit brauchbareren Dingen: rauhen Schwarzbrotlaiben von ihrer Ration, die
schnell hart wurden, schmutzigen, angeweichten, angebissenen Zuckerstücken und
halbierten Machorkapäckchen.
    Auf dem ganzen Markt lief
unbrauchbarer Trödel um, der im Preis stieg, je nachdem, durch wieviel Hände er
ging -
    Der Kutscher bog vom Platz in
eine Seitengasse ein. Die Sonne ging hinter ihm unter und schien ihm auf den
Rücken. Vor ihnen polterte ein leeres Lastfuhrwerk, das auf dem Pflaster
rüttelte. Es wirbelte Staubwolken auf, die in den Strahlen der untergehenden
Sonne bronzebraun glühten.
    Endlich gelang es ihnen, das
Fuhrwerk zu überholen, das ihnen den Weg versperrt hatte. Sie fuhren schneller.
Der Arzt bestaunte die allerorts auf Fahrbahnen und Bürgersteigen herumliegenden
Haufen alter Zeitungen und Plakate, die von den Häusern und Zäunen abgerissen
worden waren. Der Wind zog sie in die eine Richtung, die Hufe, Räder und Füße
der Gehenden und Fahrenden in die andere.
    Nach ein paar Kreuzungen kam
an einer Ecke Shiwagos Haus in Sicht. Der Kutscher hielt.
    Dem Arzt stockte der Atem, und
sein Herz hämmerte, als er ausstieg, zur Haustür ging und läutete. Das Klingeln
hatte keine Wirkung. Er klingelte weiter. Als es nichts fruchtete, drückte er
mit aufsteigender Unruhe in kurzen Intervallen immer wieder den Knopf. Erst
nach einer Weile klirrten innen Haken und Kette, und er sah seine Frau Tonja,
die mit den Armen die Eingangstür offenhielt. Beide erstarrten vor Überraschung
und hörten nicht, wie sie aufschrien. Da aber Tonjas ausgebreitete Arme schon
beinahe eine offene Umarmung waren, löste sich ihre Erstarrung, und sie fielen
sich wie wahnsinnig um den Hals. Gleich darauf redeten beide los und fielen
einander ins Wort.
    »Zuallererst: Sind

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