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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Salons
eröffnet werden wie in Paris vor dem Konvent bei Madame Roland.
    Er besuchte gastfreundliche
Freundinnen in stillen Moskauer Seitengassen und verspöttelte sie und ihre Männer
wegen ihrer Halbherzigkeit und Rückständigkeit und wegen ihrer Gepflogenheit,
über alles vom eigenen Kirchturm her zu urteilen. Er trug jetzt seine
Zeitungsbelesenheit zur Schau wie früher seine Kenntnis verbotener Bücher und
orphischer Texte.
    Es hieß, er habe in der
Schweiz eine junge Frau, laufende Geschäfte und ein unvollendetes Buch
zurückgelassen und tauche im stürmischen Strudel des Vaterlands nur unter, um
nach dem wohlbehaltenen Wiederauftauchen für immer in seinen Alpen zu
verschwinden.
    Er war für die Bolschewiken
und nannte häufig die Namen zweier linker Sozialrevolutionäre, die er als seine
Gleichgesinnten bezeichnete, einen Journalisten, der unter dem Pseudonym
Miroschka Pomor schrieb, und die Publizistin Silvia Koteri.
    Alexander Gromeko machte ihm
knurrig Vorhaltungen.
    »Einfach schrecklich, wie Sie
sich verrannt haben, Nikolai Nikolajewitsch! Sie mit Ihren Miroschkas! Dieser
Sumpf! Und dann diese Lidia Pokori.«
    »Koteri«, verbesserte
Wedenjapin. »Und Silvia.«
    »Egal, Pokori oder Popurri,
der Name ändert gar nichts.«
    »Trotzdem, Verzeihung,
Koteri«, beharrte Wedenjapin geduldig. Er und Gromeko wechselten Ansprachen.
    »Worüber streiten wir
eigentlich? Solche Wahrheiten beweisen zu wollen ist einfach beschämend. Das
sind doch die Anfangsgründe. Die große Masse des Volkes hat jahrhundertelang
ein unvorstellbares Dasein gefristet. Das können Sie in jedem Geschichtsbuch
nachlesen. Wie das immer heißen mag, Feudalismus oder Leibeigenschaft,
Kapitalismus oder Fabrikindustrialisierung, diese Ordnung ist unnatürlich und
ungerecht, das steht seit langem fest, und der Umsturz, der das Volk zum Licht
führen und alles zurechtrücken wird, ist längst vorbereitet.
    Sie wissen, daß eine teilweise
Erneuerung des Alten nichts taugt, es bedarf eines grundlegenden Umbruchs. Der
zieht vielleicht einen Einsturz des Gebäudes nach sich. Na und? Das ist
schrecklich, aber daraus folgt doch nicht, daß es nicht so sein wird! Es ist
eine Frage der Zeit. Wie kann man das bestreiten?«
    »Ach, darum geht's doch gar
nicht. Das habe ich nicht gemeint. Was habe ich denn gesagt?« rief Gromeko
ärgerlich, und der Streit entbrannte heftiger. »Ihre Popurris und Miroschkas
sind Menschen ohne Gewissen. Sie sagen das eine und tun das andere. Wo ist da
die Logik? Es gibt keinerlei Übereinstimmung. Nicht doch, warten Sie, ich
beweise es Ihnen.«
    Er machte sich auf die Suche
nach einer Zeitschrift, die einen widersprüchlichen Artikel enthielt, zog die
Schubladen des Schreibtischs auf, schob sie krachend wieder zu und heizte mit
solch lautstarkem Tun seine Beredsamkeit an.
    Gromeko hatte es gern, wenn
ihn etwas beim Gespräch störte und wenn Hindernisse seine nuschelnden Pausen,
sein Ah und Mäh entschuldigten. Er wurde gesprächig, wenn er etwas Verlorenes
suchte, zum Beispiel seine zweite Galosche in der halbdunklen Diele, oder wenn
er mit dem Handtuch über der Schulter vor der Badezimmertür stand, bei Tisch
eine schwere Schüssel weiterreichte oder Gästen Wein in die Gläser schenkte.
    Juri lauschte dem
Schwiegervater mit Genuß. Er mochte diese wohlbekannte altmodische Redeweise,
die ein wenig singend klang, mit dem weichen, gurrenden Kehlkopf-R.
    Gromekos Oberlippe mit dem
gestutzten Schnurrbärtchen überragte die Unterlippe ein wenig. Ebenso stand die
Fliege über seiner Brust vor. Es war eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der
Lippe und der Fliege, und die gab ihm etwas Rührendes, kindlich Zutrauliches.
    Spät in der Nacht, als die
Gäste schon gehen wollten, erschien Schura Schlesinger. Von einer Versammlung
kommend, betrat sie in Jacke und Arbeiterschirmmütze entschlossenen Schritts
das Zimmer, begrüßte alle der Reihe nach mit Handschlag und erging sich noch im
Gehen in Vorwürfen und Bezichtigungen.
    »Grüß dich, Tonja. Grüß dich,
Alexander. Ihr müßt zugeben, das ist eine Gemeinheit! Überall höre ich, er ist
wieder da, ganz Moskau redet davon, aber von euch erfahre ich's als letzte. Der
Teufel soll euch holen. Ich habe es wohl nicht verdient. Wo ist er denn, der
Langersehnte? Laßt mich mal durch. Ihr steht wie eine Mauer um ihn herum. Na,
grüß dich! Tüchtig, tüchtig. Ich hab's gelesen. Verstehen tue ich gar nichts,
aber es ist genial. Das merkt man gleich. Guten Tag, Nikolai

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