Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
nicht. Wenn du mit durchgestrecktem Bein auf der Ferse zu landen versucht, kippst du nach hinten um.«
Eric sorgte auch dafür, dass ich mir eine Pulsuhr besorgte, damit ich den zweithäufigsten Fehler des laufenden Teils der Menschheit korrigieren konnte – falsches Tempo. Die meisten von uns haben vom richtigen Tempo so wenig Ahnung wie vom geeigneten Laufstil. »Nahezu alle Läufer sind bei ihren langsamen Läufen zu schnell und bei ihren schnellen Läufen zu langsam«, sagt Ken Mierke. »Also trainieren sie ihre Körper einfach nur in der Zuckerverbrennung, und das ist das Letzte, was ein Langstreckenläufer will. Man hat genug Körperfett, um bis nach Kalifornien laufen zu können, je mehr man also den Körper auf Fett- statt auf Zuckerverbrennung einstellt, desto länger wird der begrenzte Zuckervorrat ausreichen.«
Will man die Fettverbrennung aktivieren, muss man bei Ausdauerläufen unter der aeroben Schwelle bleiben – unter dem Punkt, an dem man heftig zu atmen beginnt. Vor der Erfindung des gepolsterten Schuhs und der Asphaltstraße war es sehr viel einfacher, diese Geschwindigkeitsbegrenzung einzuhalten. Man versuche einmal, in offenen Sandalen einen mit Steinen übersäten Pfad hinaufzustürmen, und die Versuchung, richtig Gas zu geben, wird bald schwinden. Sind die Füße nicht mehr künstlich geschützt, ist man gezwungen, das Tempo zu variieren und die Geschwindigkeit zu kontrollieren. Sobald man rücksichtslos schnell und nachlässig wird, bremst einen der an den Schienbeinen emporschießende Schmerz.
Ich war versucht, den vollen Caballo durchzuziehen und meine Laufschuhe gegen ein Paar Sandalen einzutauschen, aber Eric warnte mich, dass ich eine Stressfraktur riskierte, falls ich versuchen würde, meine Füße nach 40 Jahren der Unbeweglichkeit plötzlich nackt zu lassen. Oberste Priorität hatte das Ziel, mich für den 80-Kilometer-Lauf in der Einöde fit zu machen, deshalb fehlte mir die Zeit für den langsamen Aufbau der Fußmuskulatur, bevor ich mit dem ernsthaften Training begann. Ich würde einen gewissen Schutz brauchen, war die Überlegung, also experimentierte ich mit einigen einfacheren Modellen, bis ich schließlich bei einem Klassiker hängenblieb, den ich über eBay fand: bei einem alten Paar Nike Pegasus 1 aus dem Jahr 2000, und in gewisser Hinsicht war das eine Rückbesinnung auf die plattfüßige Anmutung des alten Cortez.
Bereits in der zweiten Woche schickte mich Eric auf zweistündige Läufe, und seine einzigen Begleithinweise waren, auf den Laufstil zu achten und das Tempo so entspannt zu gestalten, dass ich gelegentlich auch mit geschlossenem Mund atmen konnte. (Schon 50 Jahre früher gab Arthur Lydiard einen entsprechenden, aber von der Kommunikationssituation her entgegengesetzten Rat für die Steuerung von Puls und Tempo: »Laufe nur so schnell, dass du dich nebenbei noch unterhalten kannst.«)
In der vierten Woche legte Eric dann bei der Tempogestaltung nach: »Je schneller man mühelos laufen kann, desto weniger Energie wird verbraucht. Mehr Geschwindigkeit bedeutet weniger Zeit auf den Beinen«, lehrte er mich. Nach gerade mal acht Wochen mit seinem Trainingsprogramm lief ich bereits mehr Kilometer pro Woche – und die auch noch sehr viel schneller – als jemals zuvor in meinem Leben.
In dieser Phase beschloss ich zu schummeln. Eric hatte mir versprochen, dass meine Essgewohnheiten sich von selbst regulieren würden, sobald mein Laufpensum zunahm, aber meine Zweifel waren zu groß, um weiter abwarten zu können. Ich bin mit einem Fahrradfahrer befreundet, der seine Wasserflaschen vor Bergfahrten wegwirft. Wenn dieser Mann von knapp 350 Gramm Zusatzgewicht gebremst wurde, konnte ich mir unschwer ausrechnen, was mehr als 13 Kilogramm Überlast für mich bedeuteten. Wenn ich aber wenige Monate vor einem 80 Kilometer-Rennen meine Ernährung umstellte, musste ich darauf achten, es nach Tarahumara-Art zu tun: Ich musste stark werden, während ich zugleich abnahm.
Ich spürte Tony Ramirez auf, einen Gartenbauexperten in der mexikanischen Grenzstadt Nuevo Laredo, der 30 Jahre lang das Gebiet der Tarahumara bereist hat und heute eine traditionelle Tarahumara-Maissorte anbaut und seinen Pinole selbst mahlt. »Ich bin ein großer Anhänger von Pinole, ich liebe es«, sagte mir Tony. »Es ist ein unvollständiges Protein, aber wenn man es mit Bohnen isst, dann ist es nahrhafter als ein T-Bone Steak. Die Tarahumara vermischen es normalerweise mit Wasser und trinken es, aber
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