Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
kein anderer Teil unseres Körpers so stark verändert hatte wie (oder mehr über unsere heutige Beschaffenheit aussagt als) die Schädelform. Sogar unser Frühstücksburrito spielt hier eine Rolle. Liebermans Forschungen hatten gezeigt, dass unsere Gesichter schmaler wurden, als wir unsere Ernährung im Lauf der Jahrhunderte von zähen Materialien wie rohen Wurzeln und Wildfleisch auf weiche, gekochte Hauptnahrungsmittel wie Spaghetti und Rinderhack umstellten. Benjamin Franklins Gesicht war fleischiger als das Ihrige. Caesars Gesicht wiederum war größer als das von Franklin.
Die beiden Wissenschaftler aus Harvard und Utah kamen von Anfang an gut miteinander zurecht, und das lag vor allem an Liebermans Augen: Er verdrehte sie nicht, als Bramble ihn in die Theorie vom Laufenden Menschen einweihte. »Niemand in der gesamten Wissenschaftsgemeinde war bereit, sie ernstzunehmen«, sagte Bramble. »Auf jedes Papier über das Laufen kamen viertausend Beiträge zum Gehen. Wenn ich das Thema bei Konferenzen ansprach, sagten alle immer: ›Ja, aber wir sind langsam.‹ Sie waren auf Geschwindigkeit fixiert und verstanden nicht, wie Ausdauer zum Vorteil werden könnte.«
Nun, um Gerechtigkeit walten zu lassen: Bramble hatte das selbst noch nicht herausgefunden. Er und David Carrier konnten als Biologen zwar die Bauweise der Maschine entschlüsseln, aber für den Nachweis, was sie dann tatsächlich leisten konnte, brauchten sie einen Anthropologen. »Ich wusste eine Menge über Evolution, aber nur wenig über Fortbewegung«, sagt Lieberman. »Dennis wusste einen ganzen Haufen über Fortbewegung, aber nicht so viel über Evolution.«
Beim Austausch von Geschichten und Ideen wurde Bramble klar, dass Lieberman der ideale Forschungspartner für ihn war. Lieberman, der Wissenschaftler, war davon überzeugt, dass der Ausdruck »Die Dinge in die Hand nehmen« bedeutete, dass man bereit war, sich die Hände schmutzig zu machen. Lieberman hatte – im Rahmen einer Lehrveranstaltung zur Evolution des Menschen – jahrelang auf dem Harvard-Campus ein Cro-Magnon-Grillfest veranstaltet. Um die Geschicklichkeit, die man für den Umgang mit primitiven Gerätschaften brauchte, anschaulich zu machen, ließ er seine Studenten mit scharfen Steinen eine Ziege schlachten, die dann in einer Erdgrube gebraten wurde. Sobald sich der Geruch des gebratenen Ziegenfleisches ausbreitete und nach dem Schlachtungsvorgang auch die entsprechenden Getränke flossen, wurde die Hausaufgabe zum großen Fest. »Die Veranstaltung entwickelte sich schließlich zu einer Art bacchantischem Festessen«, sagte Lieberman der Harvard University Gazette .
Aber Lieberman war noch aus einem wichtigeren Grund der ideale Mann, um das Rätsel des Laufenden Menschen zu knacken. Die Lösung schien mit seinem Spezialgebiet verknüpft zu sein: mit dem Kopf. Alle Welt wusste, dass die Menschen an einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklungsgeschichte Zugang zu einem großen Proteinvorrat erhielten, der ihre Gehirne anwachsen ließ wie einen trockenen Schwamm, der in einen Wassereimer getaucht wird. Unsere Gehirne wuchsen weiter, bis sie siebenmal so groß waren wie das Hirn jedes anderen vergleichbaren Säugetiers. Sie saugten auch eine unglaubliche Kalorienmenge auf. Unser Gehirn macht zwar nur zwei Prozent des gesamten Körpergewichts aus, verbraucht aber 20 Prozent unserer Energie, während ein Schimpansenhirn nur neun Prozent beansprucht.
Dr. Lieberman stürzte sich mit dem üblichen kreativen Eifer in die Forschung zum Laufenden Menschen. Schon bald staunten die Studenten, die ihn in seinem Büro im obersten Stockwerk des Peabody Museums in Harvard aufsuchten, über einen schweißüberströmten einarmigen Mann, der sich auf einem Laufband abmühte und an dessen Kopf ein leerer Frischkäsebecher befestigt war. »Wir Menschen sind merkwürdige Geschöpfe«, sagte Lieberman, während er am Bedienungselement die Knöpfe betätigte. »Es gibt kein anderes Lebewesen mit einem solchen Genick.« Er hielt inne, um dem Mann auf dem Laufband eine Frage zuzurufen: »Wieviel schneller kannst du noch laufen, Willie?«
»Schneller als dieses Ding da!«, antwortete Willie, und seine stählerne linke Hand schlug dabei gegen das Geländer des Laufbands. Willie Stewart verlor seinen Arm mit 18 Jahren, als ein Stahlkabel, das er auf einer Baustelle trug, sich in einer Turbine verfing, aber er erholte sich wieder und wurde zum Meistertriathleten und Rugbyspieler. Neben dem Frischkäsebecher,
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