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Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Titel: Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher McDougall
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würden«, erklärt Louis. Unter dem Druck der Großwildsafaris und der Rancher, die ihre alten Jagdgebiete übernahmen, hatten jedoch die meisten Buschleute das Nomadenleben aufgegeben und lebten inzwischen in von der Regierung errichteten Siedlungen. Ihr Niedergang war herzzerreißend. Anstatt die Wildnis zu durchstreifen, lebten viele Buschleute inzwischen von Sklavenlöhnen, die sie für ihre Farmjobs erhielten, und mussten mit ansehen, wie ihre Schwestern und Töchter sich in Lastwagenfahrer-Bordellen verdingten.
    Louis suchte weiter. Weit draußen in der Kalahari stieß er schließlich auf eine abtrünnige Gruppe von Buschleuten, die, wie er es beschreibt, »stur an Freiheit und Unabhängigkeit festhielten und sich weder Fronarbeit noch Prostitution ausliefern wollten«. Wie sich dabei herausstellte, war die Suche nach dem »Einen Menschen unter sechs Milliarden« im mathematischen Sinn fast zutreffend: In der gesamten Kalahari waren nur noch sechs traditionell lebende Jäger übriggeblieben.
    Die Abtrünnigen waren damit einverstanden, das Louis sie begleiten würde, und er nutzte das Angebot bis zum Extrem. Einmal in die Gruppe eingeführt, verhielt sich Louis wie ein arbeitsloser angeheirateter Verwandter und verbrachte die folgenden vier Jahre fast ausschließlich bei den Buschleuten. Das Stadtkind aus Kapstadt lernte, wie man sich von den Grundnahrungsmitteln der Buschleute ernährte, von Wurzeln, Beeren, Stachelschweinen und Springhasen, rattenähnlichen Nagetieren. Er lernte, wie man ein Lagerfeuer am Brennen hielt, und dass man den Zeltreißverschluss auch in drückend heißen Nächten zuzog, denn man wusste von Fällen, in denen Hyänenherden Menschen aus offenen Lagerplätzen weggezerrt und ihnen die Kehle durchgebissen hatten. Er lernte, dass man sich hoch aufrichtete, wenn man auf eine zornige Löwin und ihre Jungen stieß, und sie so zum Rückzug bewegen konnte, aber in einer vergleichbaren Situation mit einem Nashorn sofort Fersengeld geben musste.
    Überlebenstraining ist der beste Mentor, den es gibt. Schon der Versuch, täglich den Bauch voll zu bekommen und dabei beispielsweise zwei Schabrackenschakale, die sich unter einem Baobab-Baum paarten, nicht zu reizen, war eine hervorragende Methode für Louis, sich nach und nach die Hexenkünste eines Meisterfährtenlesers anzueignen. Er lernte, wie man bei einem Haufen Zebrakot unterscheiden kann, welche Hinterlassenschaft von welchem Tier stammt. Eingeweide, so stellte er fest, haben Wülste und Furchen, die auf Fäkalien eindeutige Muster hinterlassen. Kann man diese unterscheiden, gelingt es auch, sich aus einer auseinanderstiebenden Herde ein bestimmtes Zebra auszusuchen und es anhand seiner besonderen Ausscheidungen tagelang zu verfolgen. Louis lernte, wie man sich über eine Ansammlung von Fuchsspuren beugte und dabei genau rekonstruierte, was das Tier getan hatte: Hier bewegte es sich noch langsam, weil es nach Mäusen und Skorpionen schnüffelte, und dann, sieh mal, hier trottete es davon und hielt dabei eine Beute im Maul. Ein Wirbel beiseitegefegter Erde zeigte ihm an, wo ein Strauß ein Staubbad genommen hatte, und ließ ihn die Spur verfolgen, durch die er die Eier fand. Meerkatzen legen ihre Wohnhöhlen eigentlich auf hartem Boden an, warum also gruben sie hier im weichen Sand? Hier muss wohl ein Nest mit leckeren Skorpionen sein …
    Auch wenn man gelernt hat, die Spuren auf der Erde zu lesen, weiß man immer noch nichts. Die nächste Ebene ist das Fährtenlesen ohne Fährte, ein höheres Stadium des Nachdenkens, das in der Literatur als »spekulatives Jagen« bezeichnet wird. Louis entdeckte: Die einzige Möglichkeit, soweit zu kommen, war, sich aus der Gegenwart zu lösen und in die Zukunft zu versetzen, in das Wesen des Tieres, dem man auf der Spur war. Hat man erst einmal gelernt, wie ein anderes Lebewesen zu denken, kann man sein Handeln vorwegnehmen und entsprechend reagieren, bevor es selbst agiert. Wenn das ein bisschen wie Hollywood klingt, haben Sie vielleicht die entsprechenden Filme gesehen, in denen unglaublich hellsichtige FBI-Profiler auftreten, die »mit den Augen eines Mörders sehen« können. Aber dort draußen im Kalahari-Ödland war das Sich-Hineindenken in andere Lebewesen eine sehr reale und potenziell tödlich wirkende Begabung.
    »Verfolgt man die Spur eines Tieres, versucht man, wie dieses Tier zu denken, um vorhersagen zu können, wohin es sich wenden wird«, sagt Louis. »Man stellt sich die Bewegungen des

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