Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
eine Besonderheit – sie sehen Dinge, die andere Menschen nicht sehen. Die Regierung baut Straßen und zerstört dabei viele unserer Pfade. Manchmal gewinnt Mutter Natur und beseitigt diese Straßen durch Überschwemmungen und Erdrutsche. Aber man kann nie wissen. Man weiß nie, ob wir eine solche Chance noch einmal bekommen. Morgen wird es eines der größten Rennen aller Zeiten geben, und wisst ihr, wer es sehen wird? Nur verrückte Leute. Nur ihr Más Locos .«
» Más Locos! « Biere wurden erhoben, mit den Flaschen wurde angestoßen. Caballo Blanco, der einsame Wanderer der Sierras, war zu guter Letzt aus der Wildnis aufgetaucht und sah sich hier von Freunden umgeben. Nach Jahren voller Enttäuschungen waren es jetzt nur noch zwölf Stunden bis zur Verwirklichung seines Traums.
»Morgen werdet ihr sehen, was verrückte Leute sehen. Der Startschuss fällt bei Tagesanbruch, weil wir einen weiten Weg zu laufen haben.«
»CABALLO! VIVA CABALLO!«
31
Ich stelle mir oft einen schnelleren, geistähnlichen Läufer vor, der vor mir liegt und einen schnelleren Schritt hat.
Gabe Jennings, Sieger des 1500-Meter-Laufs bei den US-Ausscheidungsrennen für die Olympischen Spiele 2000.
Um 5 Uhr früh hatte Mamá Tita Pfannkuchen, Papayas und heißen Pinole auf dem Tisch. Arnulfo und Silvino hatten sich für die Mahlzeit vor dem Rennen pozole gewünscht – einen nahrhaften Rindfleischeintopf mit Tomaten und fetten Maiskörnern -, und Tita, munter wie ein Vögelchen, obwohl ihr nur drei Stunden Schlaf vergönnt gewesen waren, hatte alles fertig zubereitet. Silvino hatte eine besondere Rennkleidung angelegt, ein wunderschönes türkisfarbenes Hemd und ein weißes zapete -Lendentuch, das am Saum mit einem Blumenmuster bestickt war.
»Guapo«, sagte Caballo bewundernd; sieht gut aus. Silvino senkte schüchtern das Haupt. Caballo huschte im Garten hin und her, schlürfte seinen Kaffee und war sehr aufgeregt. Er hatte gehört, dass einige Bauern auf einem der Trails einen Viehtrieb planten, deshalb hatte er die ganze Nacht wachgelegen und über Umleitungen in letzter Minute nachgegrübelt. Schließlich stand er auf, ging zum Frühstück hinunter und erfuhr dabei, dass ihm Luis Escobars Vater gemeinsam mit dem alten Bob, dem wandernden Gringo aus Batopilas, Caballos Landsmann, bereits zu Hilfe gekommen war. Die beiden waren den Vaqueros am Vorabend beim Fotografieren in der Wildnis begegnet und hatten sie gebeten, der Rennstrecke fernzubleiben. Caballo hatte jetzt keine Stampede mehr zu befürchten und suchte sich ein anderes Problem. Er musste nicht lange suchen.
»Wo sind die Kids?«, fragte er.
Allgemeines Schulterzucken.
»Ich gehe besser und hole sie«, sagte er. »Ich will nicht, dass sie noch einmal ohne Frühstück in solche Schwierigkeiten kommen.«
Caballo und ich verließen das Haus, und zu unserer Verblüffung wartete draußen die versammelte Einwohnerschaft, um uns zu begrüßen. Während wir drinnen gefrühstückt hatten, waren frische Blumengirlanden und Papierschlangen über die Straße gespannt worden, und eine Mariachi-Kapelle mit Gala-Sombreros und Torero-Anzügen spielte sich mit ein paar Aufwärmmelodien ein. Frauen und Kinder tanzten auf der Straße, und der Bürgermeister übte mit einer Schrotflinte, wie er den Startschuss abfeuern konnte, ohne die Papierschlangen in Fetzen zu schießen.
Ich sah auf die Uhr, und mir blieb fast die Luft weg: noch 35 Minuten bis zum Startschuss. Die 55-Kilometer-Tour nach Urique hatte mich, wie von Caballo vorhergesagt, »aufgefressen und wieder ausgespuckt«, und schon in einer halben Stunde stand mir dasselbe noch einmal bevor. Dann kamen aber noch 25 Kilometer dazu. Caballo hatte eine teuflische Rennstrecke ausgesucht. Auf den 80 Kilometern hatten wir fast 2000 Höhenmeter und entsprechende Gefällstrecken zu bewältigen, das war genau der Höhenunterschied während der ersten Hälfte des Leadville Trail 100. Caballo war kein Fan der Renndirektoren von Leadville, aber bei der Streckenplanung war er genauso unbarmherzig.
Caballo und ich gingen bergauf bis zum kleinen Hotel. Jenn und Billy waren noch in ihrem Zimmer und stritten sich darum, ob Billy die zusätzliche Wasserflasche mitnehmen sollte, die er, wie sich herausstellte, ohnehin nicht fand. Ich hatte eine Flasche übrig, in der ich sonst nur Espresso aufbewahrte, also eilte ich in mein Zimmer, kippte den Espresso weg und warf Billy das Behältnis zu.
»Jetzt esst etwas! Und beeilt euch!«, schimpfte
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