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Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Titel: Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher McDougall
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er auf sein Bett verzichten musste und im Freien unter einem Baum schlief. Unmittelbar vor einem internationalen Wettkampf schloss er einst Freundschaft mit einem australischen Läufer, der den Landesrekord im 5000-Meter-Lauf brechen wollte. Zátopek war nur für den 10 000-Meter-Lauf gemeldet, aber er hatte eine Idee; er riet dem Aussie, aus dem eigentlich vorgesehenen Rennen auszusteigen und sich stattdessen an ihn zu halten. Zátopek diente dann während der ersten Hälfte des 10 000-Meter-Laufs seinem neuen Kumpel auf dem Weg zu dessen Rekord als Schrittmacher, dann folgte er seinen eigenen Zielen und gewann das Rennen.
    Das war Zátopek, wie er leibte und lebte; Rennen waren für ihn wie ein Kneipenbummel. Er liebte Wettkämpfe so sehr, dass er für möglichst viele Veranstaltungen meldete, anstatt den Trainings- und Wettkampfzyklus exakt zu planen, um zu einem bestimmten Zeitpunkt bei abnehmendem Aufwand in Höchstform zu sein. Bei einer manischen Wettkampfserie trat er von 1949 bis 1952 drei Jahre lang nahezu jede zweite Woche zu einem Rennen an, blieb unbesiegt und gewann 69-mal nacheinander. Selbst mit dieser Wettkampfbelastung kam er auf ein durchschnittliches wöchentliches Trainingspensum von bis zu 265 Kilometern.
    Als Zátopek 1952 bei den Olympischen Spielen in Helsinki antrat, war er ein kahlköpfiger, nach eigenen Vorstellungen trainierender, 30 Jahre alter Bewohner einer Mietwohnung in einem verarmten europäischen Hinterhof. Die Mannschaft der Tschechoslowakei war sehr klein, Zátopek hatte bei den Langstreckenläufen freie Wahl, also meldete er in allen Disziplinen. Er trat zum 5000-Meter-Lauf an und siegte mit neuem Olympischem Rekord. Dann ging er über 10 000 Meter an den Start und gewann seine zweite Goldmedaille ebenfalls in neuer Rekordzeit. Er war noch nie zuvor einen Marathon gelaufen, aber was bedeutete das schon; nach zweimal Gold hatte er nichts mehr zu verlieren, warum sollte er die Sache nicht zu Ende bringen und einen Versuch wagen?
    Zátopeks Mangel an Erfahrung wurde bald offensichtlich. Es war ein heißer Tag, deshalb beschloss der Engländer Jim Peters, der damalige Weltrekordhalter, sich die Hitze zunutze zu machen und Zátopek leiden zu lassen. Nach 16 Kilometern lag Peters’ Durchgangszeit bereits zehn Minuten unter seinem bestehenden Weltrekord, und er setzte sich vom Feld ab. Zátopek war sich nicht sicher, ob irgendjemand dieses mörderische Tempo tatsächlich durchhalten konnte. Er zog mit Peters gleich und fragte: »Entschuldigung, das ist mein erster Marathonlauf. Sind wir zu schnell?«
    »Nein«, antwortete Peters. »Zu langsam.« Wenn Zátopek so dumm war, diese Frage zu stellen, verdiente er jede denkbare Antwort.
    Zátopek war überrascht. »Sie sagen ›zu langsam‹«, hakte er nach. »Sind Sie sicher, dass dieses Tempo zu langsam ist?«
    »Ja«, sagte Peters. Doch dann war die Überraschung an ihm.
    »Okay. Danke.« Zátopek nahm Peters beim Wort und zog davon.
    Als er durch das Marathontor ins Stadion einlief, erhob sich ein Aufschrei: Er kam nicht nur von den Fans, sondern von den Athleten aller Länder, die die Laufbahn umstanden, um ihn anzufeuern. Zátopek zerriss das Zielband ein drittes Mal in olympischer Rekordzeit, aber als seine Mannschaftskameraden angerannt kamen, um ihn zu beglückwünschen, kamen sie zu spät. Die jamaikanischen Sprinter hatten ihn bereits auf ihre Schultern gehoben und paradierten mit ihm auf dem Rasen im Innenbereich. »Lasst uns so leben, dass sogar der Totengräber unseren Tod bedauern wird«, pflegte Mark Twain zu sagen. Zátopek hatte eine Art zu laufen gefunden, die selbst die anderen Mannschaften seine Siege feiern ließ.
    Man kann jemandem gar nicht so viel Geld geben, dass er mit derart ansteckender Freude läuft. Noch kann man jemanden dazu zwingen, wie Zátopek selbst unglücklicherweise noch zu beweisen hatte. Als die Rote Armee 1968 in die Tschechoslowakei und in Prag einmarschierte, um die Demokratiebewegung zu unterdrücken, ließ man Zátopek die Wahl: Er konnte mit den Sowjets gemeinsame Sache machen und als Botschafter des Sports fungieren, oder er konnte den Rest seines Lebens damit verbringen, in einem Uranbergwerk die Toiletten zu reinigen. Zátopek entschied sich für die Toiletten. Und auf diese Weise verschwand einer der meistgeliebten Athleten der Welt aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit.
    Zufälligerweise hatte zur gleichen Zeit auch sein Rivale um den Titel des besten Langstreckenläufers der Welt

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