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Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Titel: Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher McDougall
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beleuchteten Bibliothek. Aber was »es« auch immer sein mochte: Er wusste, dass es genau das war, wonach er suchte.
    Vigil war in den letzten paar Jahren zu der Überzeugung gekommen, dass der nächste qualitative Sprung bei der menschlichen Ausdauerfähigkeit aus einem Bereich kommen würde, in den er sich nur ungern begab: Die Rede ist vom Charakter. Damit ist nicht der »Charakter« gemeint, über den sich andere Trainer gern so wortreich verbreiteten; Vigil sprach nicht von »Mut« oder »Hunger« oder »großem Kampfgeist«.
    Eigentlich meinte er das genaue Gegenteil. Vigils Vorstellung von Charakter hatte nichts mit Zähigkeit und Härte zu tun. Er dachte eher an Mitgefühl. Freundlichkeit. Liebe.
    Sie haben richtig gelesen: an Liebe.
    Vigil wusste durchaus, dass das wie abgedrehtes Hippiegefasel klang, und er hätte sich auch liebend gern an gutes, hartes, quantifizierbares Material gehalten, an Kriterien wie die maximale Sauerstoffaufnahme und periodisierte, durchgeplante Trainingstabellen. Nach fast 50-jähriger Forschungsarbeit in Wettkampfphysiologie und Leistungssport war Vigil zu der unangenehmen Schlussfolgerung gekommen, dass die einfachen Fragen alle beantwortet waren. Er lernte jetzt immer mehr über immer kleinere Teilbereiche. Er konnte einem ganz genau sagen, wie groß der Vorsprung war, den kenianische Teenager gegenüber amerikanischen Altersgenossen hatten (29 000 Kilometer an Trainingsläufen). Er hatte entdeckt, warum diese russischen Sprinter von Leitern heruntersprangen (es stärkt zum einen die Lateralmuskeln, und das Trauma regt die Nerven zu rascherer Reaktion an, wodurch das Risiko von Trainingsverletzungen sinkt). Er hatte auch das Ernährungsgeheimnis der peruanischen Bauern entschlüsselt (große Höhen beeinflussen den Stoffwechsel auf merkwürdige Art und Weise) und konnte stundenlang über die Auswirkungen dozieren, die sich aus einem einzigen Prozent größerer Effizienz beim Sauerstoffverbrauch ergaben.
    Er hatte den Körper analysiert, und jetzt wandte er sich dem Kopf zu. Insbesondere dieser Frage: Wie bringt man jemanden dazu, dass er solche Dinge wirklich tun will? Wie legt man den inneren Schalter um, der uns alle in die geborenen Läufer zurückverwandelt, die wir einst waren? Nicht irgendwann in der Menschheitsgeschichte, sondern in unserem eigenen Leben. Erinnern Sie sich noch? Wie war das früher, in den Kindheitstagen, als man Sie anschreien musste, damit Sie das Tempo reduzierten? Jedes Spiel wurde damals mit höchster Geschwindigkeit gespielt, man rannte wie verrückt, als man Blechdosen durch die Gegend kickte, alle Gefangenen befreite und Dschungelaußenposten im Hinterhof der Nachbarn angriff. Bei sämtlichen Aktivitäten verband sich ein großer Teil des Spaßes mit dem Drang zum Rekordtempo, und es war vielleicht die letzte Zeit im eigenen Leben, in der man drangsaliert wurde, weil man zu schnell war.
    Das war das wahre Geheimnis der Tarahumara: Sie hatten nie vergessen, wie es sich anfühlte, wenn man das Laufen liebte. Sie wussten noch, dass das Laufen die erste Kunst war, die der Mensch beherrschte, unser ursprünglicher, inspirierter Schöpfungsakt. Wir perfektionierten die Kunst, unsere Atmung, unseren Verstand und unsere Muskeln in einer flüssigen Fortbewegungsart auf wildem Untergrund zusammenwirken zu lassen, lange bevor wir Bilder in Höhlenwände kratzten oder auf hohlen Baumstämmen die ersten Rhythmen trommelten. Und als unsere Steinzeitvorfahren schließlich ihre ersten Höhlenmalereien schufen, welche Motive wählten sie da? Ein abwärts führender Strich, Blitzstrahlen durch das untere Ende und die Mitte – siehe da: Der Läufer.
    Der Langstreckenlauf war sehr geachtet, weil er unentbehrlich war. Mit seiner Hilfe überlebten wir, vermehrten uns und besiedelten den ganzen Planeten. Man lief, um etwas zu essen zu haben und nicht selbst gefressen zu werden; man lief, um eine Partnerin zu finden und sie zu beeindrucken, und mit ihr lief man schließlich weg, um anderswo gemeinsam ein neues Leben zu beginnen. Und wie alles andere auch, das wir lieben – alles, was wir in sentimentaler Manier als unsere »Leidenschaften« und »Sehnsüchte« bezeichnen -, ist es eine uns einprogrammierte uralte Notwendigkeit. Wir wurden zum Laufen geboren; wir wurden geboren, weil wir laufen. Wir alle sind Fußläufer, was die Tarahumara schon immer wussten.
    Aber die amerikanische Herangehensweise – oh je. Sie war verkommen bis ins Mark. Zu künstlich und zu

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