Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
streiten könnte, würde er zum Soziopathen werden.«
Ted machte sich nützlich, indem er einen kleinen Onlinehandel für Karussellzubehör einrichtete, den er mithilfe eines Macintosh-Computers aus einem bis dahin leerstehenden Zimmer in Dans Haus betrieb. Der Handel brachte nicht viel ein, aber er ließ Ted viel Zeit zum Training für 80-Kilometer-Fahrten mit seinem 1,80 Meter hohen viktorianischen Fahrrad wie auch zu ergänzenden Übungseinheiten, bei denen er seine Frau und Tochter in einer Rikscha durch die Gegend fuhr. Caballo hatte einen völlig falschen Eindruck von Teds Vermögensverhältnissen bekommen, und das lag in erster Linie daran, dass Teds E-Mails meist voller Pläne waren, die eher zu einem Investor aus Microsofts Anfangszeit passten. Wir anderen buchten beispielsweise preisgünstige Flüge nach El Paso, während Ted sich nach Landebahnen für ein privates Buschflugzeug in entlegenen Gegenden Mexikos erkundigte. Es war nun nicht so, dass Ted ein Flugzeug besessen hätte; er kann sich kaum ein Auto leisten. Er tuckert mit einem VW-Käfer des Baujahrs 1966 durch die Gegend, der sich im Zustand keuchenden Verfalls befindet, sodass er sich mit diesem Fahrzeug nicht weiter als 40 Kilometer von zu Hause weg wagt. Aber Ted stört das nicht im Geringsten; das alles gehört vielmehr zu seinem Masterplan. »Auf diese Weise muss ich niemals weit reisen«, erklärt er. »Ich lebe in selbstgewählter Armut und finde das außerordentlich befreiend.«
In seiner Studienzeit am Art Center College of Design in Pasadena hatte sich Ted heftig in seine Kommilitonin Jenny Shimizu verknallt. Eines Abends lernte er in Jennys Wohnung zwei ihrer neuen Freunde kennen: Chase Chen, einen jungen chinesischen Künstler, und dessen Schwester Joan. Die beiden Chen-Geschwister sprachen nur sehr wenig Englisch, also ernannte sich Ted selbst zu ihrem persönlichen Kulturbotschafter. Die Freundschaft hatte für alle Beteiligten äußerst günstige Folgen: Ted fand ein unfreiwilliges Publikum für seine sinfonischen Stream-of-Consciousness-Bekundungen, die Chens bekamen eine Flut neuer Vokabeln zu hören, und Jenny erfuhr etwas Entlastung von Teds Liebeswerben. Innerhalb weniger Jahre wurden drei Mitglieder dieses Quartetts international bekannt: Joan Chen wurde ein Hollywoodstar und schaffte es in der Zeitschrift People unter die »50 schönsten Menschen«. Chase entwickelte sich zu einem von den Kritikern gepriesenen Porträtmaler sowie zum bestbezahlten asiatischen Künstler seiner Generation. Jenny Shimizu begann eine Karriere als Model und wurde wegen ihrer Affären mit Madonna und Angelina Jolie eine der weltweit bekanntesten Lesbierinnen. (Ein Karriereverlauf, den Ted so niemals voraussah, trotz der Tätowierung auf Jennys rechtem Bizeps, die eine rittlings auf einem Dildo sitzende junge Schöne zeigte.)
Was nun Ted anbetraf, na ja …
Er schaffte es immerhin in der Weltrangliste der Zeittaucher unter die ersten 30. »Ich steigerte mich bis auf fünf Minuten und fünfzehn Sekunden«, sagt Ted. »Den ganzen Sommer über trainierte ich im Pool.« Doch das Luftanhalten unter Wasser ist leider eine launische Geliebte, und es dauerte nicht lange, bis Ted von Konkurrenten, die sich der Kunst des Wenigeratmens noch intensiver als der Rest der Welt widmeten, aus den Ranglisten verdrängt wurde. Man muss einen Hauch von Sympathie für den armen Kerl aufbringen, der da auf dem Grund des Pools seines Cousins vor sich hin blubbert und von künftigem Ruhm träumt, während nahezu alle seine Bekannten Meisterwerke malen, mit Superstars ins Bett gehen und von Bernardo Bertolucci in Nahaufnahme gefilmt werden.
Und was war das Schlimmste? Ein Ted, der die Luft anhielt, war der beste Ted, den es je gab. In gewisser Weise war es genau das, was Lisa anzog, die Frau, die dann seine Ehefrau geworden ist. Sie wohnten im selben Studentenwohnheim, aber da Lisa als Rausschmeißerin in einer Heavy-Metal-Bar arbeitete und erst nachts um drei nach Hause kam, bekam sie von Ted nur die Trockenversion des Poolgrunds zu sehen: Nach der Arbeit traf sie auf einen Ted, der ruhig am Küchentisch saß, Reis mit Bohnen verzehrte und sich dabei in ein Buch über französische Philosophie vertiefte. Seine Ausdauer und Intelligenz galten unter seinen Mitbewohnern bereits als legendär. Ted konnte den ganzen Morgen lang malen, den ganzen Nachmittag lang skateboarden und dann den ganzen Abend lang japanische Verben pauken. Er machte Lisa einen Teller Bohnen zurecht,
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