Bosmans/Deleu 02 -Totenspur
Schlag … Schmerzen … Gesicht … brennt!
Hinterkopf … Tiefkühltruhe. Dumpfer Schmerz. Lecken.
Schmecken. Geschmack von Blut. Frischem Blut. Eigenem Blut.
Ich küsse die Tiefkühltruhe, als Papa zur Tür springt und keuchend in die kalte Winternacht hinausruft: »Komm zurück!«
Kurz darauf lauter, befehlend:
»Komm zurück! Sofort!«
Dann schließlich, während ich lache, auf den Knien, flehend, kraftlos, mit verkrampften Muskeln: »Bitte … vergib mir!«
Michelle presste die Handflächen so fest gegen ihr Gesicht, dass ihr markerschütternder Schrei gedämpft wurde. Sie fuhr mit den gespreizten Fingern beider Hände über Augen, Nase und Wangen, wobei die Schminke breite schwarze Streifen auf ihrem Gesicht hinterließ. Mit blutunterlaufenen Augen verfluchte sie die kalten, funkelnden Sterne.
23
Als Dirk Deleu endlich erwachte, hatte er einen trockenen Mund und verkrampfte Muskeln. Er schlug die verklebten Augenlider auf, blickte sich verwirrt um, schüttelte den Schlaf ab und wäre vor Schreck beinahe von dem breiten Sofa gefallen. Denn halb auf ihm lag Nadia Mendonck, den Kopf auf seinem Bauch, die Arme um seine Taille geschlungen.
Deleu blieb mucksmäuschenstill liegen und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Die Erinnerung an Rutgers Tod dämpfte schlagartig seine Angst. Vorsichtig öffnete er die obersten Knöpfe seines Hemdes und zermarterte sich das Gehirn. Was war um Himmels willen am vergangenen Abend geschehen?
Mit angehaltenem Atem gelang es ihm, nach und nach den Film zurückzuspulen. Sie hatten erst etwas zusammen getrunken, so weit, so gut. Aber danach … Was war hier in der Wohnung geschehen? Deleu stöhnte und betrachtete seine schlafende Kollegin. Sie trug noch dieselben Kleider wie am Abend. Hm. Erhatte die völlig fassungslose Nadia nach Hause gebracht. An die Fahrt nach Löwen erinnerte er sich noch ganz deutlich. Müde rieb er über sein schmerzendes Schulterblatt.
Nadia Mendonck stöhnte leise, und Dirk Deleu streichelte ihr mit dem Zeigefinger über die feuchte Stirn.
Was nun, Dirk?
Barbara anrufen, natürlich!
Mist! Sein verfluchtes Handy lag noch im Auto, und den Stecker von Nadias Anrufbeantworter hatte er gestern Abend herausgezogen.
Verdammt, Dirk Deleu, Vater von zwei Kindern, was treibst du hier eigentlich?
Warum hatte er Barbara nicht schon gestern Abend angerufen? Genau. Er wollte gerade zu seinem Auto zurückkehren und hatte Nadia vorher gefragt, ob er noch irgendetwas für sie tun könne. Da war sie ihm um den Hals gefallen und hatte ihn angefleht, noch ein wenig zu bleiben, sie nicht allein zu lassen.
Allmählich ergaben die Fetzen ein zusammenhängendes Bild, und Deleu kratzte sich am Kopf.
Sie hatten noch einen Cognac getrunken, das verriet die offene Flasche Remy Martin. Sie hatte ihn geküsst. Oder er sie? Nein, nein. Sie hatte ihn an sich gezogen und ihren Mund auf seinen gepresst.
Warum? Aufwachen, Junge! Ich muss eingeschlafen sein. Ich muss Barbara anrufen, und zwar sofort!
Vorsichtig befreite sich Deleu aus Nadias Umarmung und ließ den schlaffen Arm seiner Kollegin auf dasSofa sinken. Er stolperte zum Telefon, schob mit knackenden Knien den Stecker in die Dose und tippte seine Telefonnummer ein. Die Designeruhr über der Anrichte zeigte bereits halb elf! Welcher Tag war heute? Dienstag? Nein, Mittwoch.
Nach dem dritten Freizeichen wurde abgenommen.
»Barbara?«
»Nein, Papa, ich bin’s, Rob!«
»Ist Mama nicht zu Hause?«
»Nein.«
»Warum bist du nicht in der Schule?«
»Nicht schimpfen, Papa! Ich bin heute nicht hingegangen, weil Mama so schnell keinen Babysitter bekommen konnte, und ich habe versprochen, auf Charlotte aufzupassen. Wo steckst du denn? Mama hat die halbe Nacht nicht geschlafen!«
»Wo ist sie jetzt?«
»Bei Jos Bosmans, glaube ich. Der hat hier übrigens auch schon ein paar Mal angerufen. Er braucht dich wohl dringend. Mehr weiß ich auch nicht. Sie hat noch gesagt, wenn du anrufst, sollst du dich unbedingt bei ihm melden. Jetzt sag endlich – wo bist du?«
»Bei einer Kollegin, mein Junge. Ihr Freund ist heute Nacht mit dem Motorrad tödlich verunglückt, und ich konnte sie unmöglich allein lassen. Irgendwann bin ich dann wohl eingeschlafen.«
Der Junge schwieg.
»Rob?«
»Ja, Papa, schon gut, aber jetzt ruf erst mal Mama an«,antwortete er verärgert. »Du hättest schon mal kurz Bescheid sagen können.«
»Tut mir leid, aber ich bin einfach nicht dazu gekommen… Ich rufe sie jetzt
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