Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer
mühsam auf. Dann zog er sein klebriges T-Shirt über den Kopf und warf es mitten auf den Wohnzimmertisch.
Im Spiegel über der Anrichte betrachtete er mit forschendem Blick seinen Körper. Abgesehen von dem Bauch konnte er sich durchaus noch sehen lassen. Als er sich zögernd nach vorn beugte, fiel ihm auf, dass seine Augen blutunterlaufen waren. Aus der Nähe betrachtet, war das einst klare Blau verblasst. Seine Haut war fettig und großporig, mit Dellen wie Mondkrater. Irgendwie pockennarbig.
Fluchend zog er die Kühlschranktür auf und brach noch eine Dose Billigbier an. Das Zeug schmeckte wie Pfützenwasser. Erregt wischte er mit dem Daumen über die Kondenstropfen, trank die Dose gluckernd aus, beugte sich nach vorn und hörte ein Geräusch.
Hier ist doch jemand?
Johnny Vanderauwera drehte sich langsam um. Seine wässrigen Augen suchten einen Anhaltspunkt, ein Erkennungszeichen, entdeckten jedoch nichts. Nur den üblichen Müll. Schnaufend bückte er sich und zog die Kühlschranktür auf. Kein Bier mehr da. Im Kühlschrank befanden sich lediglich eine Butterdose, ein Glas Marmelade, einige Dips und ein halber, verwelkter Salatkopf.
Weiter hinten lag ein zerdrücktes Alufolienpäckchen. Er holte es heraus und roch daran. Ein undefinierbarer Geruch. Jedenfalls nicht mehr frisch.
Behutsam faltete er die Folie auseinander und betrachtete die Scheibe Schinken, die klebrig und grünschillernd wie ein Regenbogen vor ihm lag. Ein stinkender Regenbogen. Er hielt die Luft an und faltete die Folie wieder zusammen. Dann nahm er den halben Salat heraus und warf alles in den überquellenden Mülleimer, von dem ein säuerlicher Geruch aufstieg.
Das Leben ist scheiße. Einfach nur scheiße.
Der Anblick des Salats, kurz bevor der Deckel zuklappte, setzte das Räderwerk seines Gehirns langsam in Bewegung.
Nach seinem Gefängnisaufenthalt in Mechelen – sein Vorrat an Bewährungsstrafen war längst aufgebraucht – hatte er seinen Job beim Gemüsehändler Verbist auf dem Groß-markt verloren.
Als könnten Exhäftlinge kein Gemüse putzen, verdammt noch mal!
Schadenfroh dachte er an den miesen kleinen Händler zurück, der mehr Ausländer als Menschen beschäftigte, und an die Szene, als er der zitternden Kakerlake die Holzkiste auf die Glatze geknallt hatte. Der Geizhals hatte geblutet wie ein abgestochenes Schwein. Die Wunde musste mit zehn Stichen genäht werden. Johnny Vanderauweras schmale Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
Und dann die Sache mit dem mageren Kanakenjungen.
Er schlurfte zum Klo.
»Los, geh pissen«, lallte er mit einem breiten, fettigen Grinsen. Das Grinsen verwandelte sich in eine schmerzverzerrte Grimasse. Sein Magen brannte wie Feuer.
Nicht schon wieder. Das Leben ist scheiße.
Röchelnd erbrach er sich, mit einer Hand gegen die hellblauen Kacheln gestützt. Die Erektion war zum Teufel.
Auf einmal spitzte Johnny Vanderauwera die Ohren. Wieder glaubte er, ein Geräusch zu hören. Irgendwo hinter ihm. Mit vom Alkohol vernebeltem Blick suchte er das Poster von den Boxhandschuhen, das mit einem Nazi dolch, einer antiken Rarität mit Elfenbeingriff, an die Klotür geheftet war. Als die Tür zu seiner Wohnung aufflog und krachend gegen die Wand schlug, pinkelte er auf die Klobrille.
[home]
19
D as Hinterzimmer im Präsidium von Mechelen war beklemmend klein, kahl und nur schwach beleuchtet. Es gab keine Fenster, und von der Decke baumelte eine nackte Glühbirne. Die Einrichtung bestand aus einem kleinen Küchentisch, einem Beistelltischchen und drei einfachen Holzstühlen. Auf dem Tisch standen ein Aschenbecher und zwei dampfende Kaffeebecher. Auf dem Beistelltisch lagen drei Zeitungen und ein Telefonbuch. Ein Brüsseler Branchenverzeichnis, Jahrgang 95 bis 96, das dickste von allen.
Johnny Vanderauwera musterte die Polizisten mit bösartig funkelnden Augen, wie eine in die Enge getriebene Ratte. So fühlte er sich, und so sah er auch aus. Mit den mageren Händen die Tischplatte umklammernd, den Kopf zwischen den knochigen Schultern, die Oberlippe leicht hochgezogen und die Nasenflügel gebläht.
Scheißbullen!
Kurt Verrijts sympathisches Lächeln passte nicht zu den eiskalten Augen. Der zweite verhörende Untersuchungsbeamte war Walter Vereecken, der in seinem Rollstuhl irgendwie wehrlos wirkte.
»Ich will doch einen Anwalt. Ich hab’s mir überlegt«, zischte Johnny Vanderauwera. Ein Spucketropfen blieb an einer Spitze seines grauen Schnauzbartes hängen.
Verrijt starrte nach wie vor
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