Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn
beherzt, während er die Treppe hinunterstieg. Seine nächsten Worte gingen im Gebrüll des Babys unter.
»Wenn Sie jetzt nicht den Mund halten, werde ich auf jeden Fall die Polizei benachrichtigen!«, schrie Goegebuer ihm hinterher.
Verbist achtete nicht mehr auf sein Geschwätz. Es wurde von dem alles übertönenden Rauschen in seinem Kopf verschluckt. Ohne sich noch einmal umzusehen, lief er wie ferngesteuert die Treppe hinunter. Seine leeren grauen Augen leuchteten einmal kurz auf. Ein stechender Blitz.
Er wolle die Polizei benachrichtigen, hatte Ira Levin ihm hinterhergerufen.
Vor seiner Wohnungstür wartete er geduldig, bis alles still war. Dann öffnete er die Tür einen Spalt, sah sich um und schlüpfte hinein. Gott sei Dank war ihm Molok nicht gefolgt.
Vielleicht ist er eingeklemmt. Irgendwo in der Wand. Tot. Oder zumindest stark geschwächt. Durch die Strahlung des Silberpapiers. Das kommt davon, wenn man versucht, durch Risse zu schlüpfen.
Äußerlich ruhig umkreiste er den Karton und vermied es, die glänzenden Wände anzusehen.
Wichtchen schlief friedlich, den Daumen im Mund und die Nase voller Kot. Der rührende Anblick vertrieb Verbists schwarze Gedanken.
»Ich werde nicht mehr in Panik geraten, nie mehr«, flüsterte er ihr in das flaumige Ohr.
Er nahm das einzige saubere Geschirrtuch aus dem Schrank und befeuchtete es. Dann wischte er vorsichtig über Wichtchens Gesicht. Sie seufzte und drehte den Kopf hin und her.
Verbist hielt inne.
Aufpassen, sonst wird sie noch wach. Ira Levin lauscht sicher an der Tür.
Mit der Zunge zwischen den Zähnen faltete er vorsichtig den Karton zu. Plötzlich strampelte das Baby wie wild mit den Beinen, und sein Geschrei fuhr Verbist mitten ins Herz. Er ruckte mit dem Kopf und trommelte sich mit den geballten Fäusten auf die Brust. Schneller und immer schneller und fester und immer fester. Bis seine Brust unerträglich brannte.
Dann erstarb das Trommeln.
Die Würfel waren gefallen.
Der Vorhang hob sich.
Die Zahnräder eines verborgenen Mechanismus irgendwo tief in seinem Inneren, in seinen Gehirnwindungen, setzten sich in Bewegung, und in der Schublade des Küchentischs fand Verbist, was er suchte.
Diesmal gelang es ihm.
Auf Anhieb.
[home]
Montag, 24 . November – 20 Uhr 55
H erman Verbist erklomm mit mechanischen Schritten die Treppe und drückte auf die Klingel.
Louis Goegebuer, pensionierter Eisenbahningenieur, öffnete nichtsahnend die Tür, und noch ehe er ein Wort sagen konnte, durchbohrte das spitze Fleischmesser seine Wange und seine Zunge. Verbist, über dessen Hände das Blut spritzte, hielt das Heft des Messers umklammert und drängte den zuckenden Alten rückwärts in die Wohnung hinein.
Mit Fassungslosigkeit in den erlöschenden Augen griff Goegebuer nach Verbists Fäusten und in seinen eigenen Nacken, wo er sich die Finger an der Messerspitze verletzte. Aber das merkte der alte Mann schon nicht mehr.
Auf Herman Verbist schien der grauenvolle Anblick nicht den geringsten Eindruck zu machen. Mit starren Augen riss er das Messer um eine Vierteldrehung nach links.
Goegebuers letzter Seufzer »Chris …« wurde von einem Blutschwall erstickt. Er wankte und stürzte seitlich über den kupfernen Regenschirmständer. Als er mit dem Kopf gegen die Wand schlug, brach die Messerklinge entzwei. Goegebuers falsches Gebiss fiel klappernd in den Ständer.
Herman Verbist kam allmählich zu sich. Er löste den Griff um das Messer und blickte sich verdutzt um, als erwache er aus einer Narkose. Er starrte auf seine Hände, die nach der Anspannung noch zittrig waren.
»Zufrieden, Molok?«
Das monotone Kichern, das zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervordrang, schien aus den Wänden zu sickern.
Er ging zum Waschbecken, wusch sich sorgfältig Arme und Hände, und seine Augen wurden wieder glasig, als versetze ihn das rauschende Wasser in einen Hypnosezustand.
Als ihn das blutige Gesicht Moloks auslachte, fing Herman Verbist aus voller Brust an zu schreien.
Die Tür fiel mit einem Klicken ins Schloss, und Verbist stolperte hinaus in den Flur, lief die Treppe hinunter und riss die Tür zu seiner Wohnung auf, wo er das weinende Baby ignorierte und ins Schlafzimmer ging. Erschöpft fiel er aufs Bett, presste die Hände auf die Ohren und verschloss sich wie eine Muschel, bis er von Stille umgeben war. Einer desolaten Stille. Und Schmerzen. Hartnäckigen Schmerzen.
Er zitterte, und als versagten alle Nerven seines Körpers
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