Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn
Nicht schneeweiß, aber rein. Er vermied es, zur Badewanne hinzusehen.
Eklige, stinkige Badewanne.
Wenn er die Augen schloss, sah er das Bild jedoch wieder vor sich. Das grausige baumelnde Bein von Sandra, der Hure mit den rot lackierten Fußnägeln. Er trat heftig gegen den Badewannenrand und kehrte in die Küche zurück.
Aus dem Küchenschrank, in dem er eben das Handtuch gefunden hatte, nahm er ein Breifläschchen, eine Schachtel NAN-H.A. - 2 -Babynahrung und eine Flasche stilles Wasser.
Yvette hat gesagt, nur damit dürfe man Babynahrung zubereiten.
Die Erinnerung an seine Frau ließ ihn unsicher lächeln. Gedankenverloren. Er maß Wasser in der Flasche ab, gab Pulver hinzu, schüttelte die Mischung gründlich durch und stellte die Flasche in die Mikrowelle. Dann setzte er sich aufs Sofa und sah sich die Karikaturen in der Zeitung an, über die er sich nur mäßig amüsieren konnte. Der Klingelton der Mikrowelle ertönte.
Noch ehe die heiße Flasche klappernd auf dem Boden aufschlug, hatte er schon seine verbrannten Finger in den Mund gesteckt. Die schmerzenden Stellen behandelte er mit der Wundsalbe, die er von seiner Großmutter kannte. Bei ihr war er aufgewachsen, nachdem sein Vater gestorben und seine Mutter weggelaufen war.
Herman Verbist nahm sich vor, gut für Wichtchen zu sorgen, um dereinst zu seinen Lieben in den Himmel zu kommen. Zwar brachte ihn die Vorstellung zum Lächeln, verursachte ihm aber zugleich einen Kloß im Hals.
Dort sitzt sie. Meine Großmutter. Mir gegenüber am Resopalküchentisch. Die Hände gefaltet und ein kühles Lächeln auf den faltigen Lippen. Jedes Mal, wenn ich meine Brotkruste in die Specksoße tunke, begegnen sich unsere Blicke. Ihr Blick ist salbungsvoll. Wie immer, wenn ich brav bin. Der Geruch nach Sunlicht-Seife überlagert den Duft nach gebratenem Speck. Sunlicht-Seife – ihr Allheilmittel gegen Trägheit, jene Trägheit, die aller Laster Anfang ist. Ihre geblümte Nylonschürze knistert, als sie beschwörend die Hand hebt. Sie begutachtet meine Fingernägel. Eine vage Unruhe nagt an mir, tief in meinem Inneren. Ich krümme die Finger und presse die Nägel gegen das Resopal.
Herman Verbist schüttelte den Kopf. Die Flasche war aus Plastik und deshalb heil geblieben. Mit Hilfe des feuchten Handtuchs hielt er sie unter den Wasserhahn, und nach drei Kühldurchgängen, nach denen er jedes Mal einige Tropfen Milchnahrung auf sein Handgelenk geträufelt hatte, erschien ihm die Temperatur richtig.
Vorsichtig näherte sich Verbist dem Karton, der auf- und abhüpfte. Er hob Wichtchen heraus, die inzwischen wieder markerschütternd schrie, plazierte sie auf seinem Vaterschoß und drückte den Sauger sanft gegen ihre Lippen.
Erstaunlich gierig schnappte sie zu, doch nach einigen kräftigen Schluckbewegungen fluppte der Sauger wieder aus dem Mund, und sie schrie noch heftiger als zuvor.
Die schrillen Töne vibrierten bis tief in sein Rückenmark.
Verbist musterte den Sauger, legte das Baby aufs Sofa und kehrte zur Anrichte zurück. Mit einem Küchenmesser bohrte er unbeholfen in der Öffnung des Saugers herum.
Diesmal funktionierte es. Die Flasche leerte sich mit dicken Blubberblasen. Wenn er den Sauger aus ihrem Mund zog, zappelte Wichtchen krampfhaft mit den Beinchen. Gab er ihn ihr wieder, gluckste sie zufrieden.
Eine warme Welle der Erfüllung überlief ihn. Jetzt nahm seine Vaterschaft allmählich konkrete Formen an.
Im Nu war die Flasche leer, und er setzte sich das Kind vorsichtig aufrecht auf den Schoß für das obligatorische Bäuerchen. Das folgte schnell, wurde aber begleitet von einem Schwall halb verdauter NAN H.A. 2 . Die noch lauwarme Milch schwappte über seinen Handrücken und auf seine Jeans.
Jetzt ist mein einziges sauberes Küchenhandtuch schmutzig!
Das Geschrei wurde wieder lauter.
Verbist deponierte das Baby unsanft in seinem Karton, wurde von Panik ergriffen und wühlte sich mit den Händen durchs Haar. Überall Kotze!
Nachdenken! Zähne putzen!
Mühsam versuchte sich Herman Verbist aufzurichten, aber es war zu spät. Seine Umgebung verfärbte sich rot. Funken sprangen von der Silbertapete.
Er hyperventilierte und zuckte am ganzen Körper wie von Stromstößen geschüttelt.
[home]
Dienstag, 25 . November – 11 Uhr 35
A uch das Gespräch mit Verbists letztem Arbeitgeber hatte Deleu nicht weitergebracht. Der Mann konnte sich kaum an Herman Verbist erinnern. Er hatte in den Personalakten nachgesehen und erklärt, Verbist
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