Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn
verachten, wenn sie wüsste, dass ich vorher schon in dem Billigladen war.
Gerade als er ihr erzählen wollte, dass er keine Lust hatte, sich im Supermarkt in die Schlange zu stellen, dass er unter Agoraphobie, der Angst vor Menschenmengen, litt, dass ihm in dem anderen Geschäft die Bullen auflauerten und er dringend Küchenpapier brauchte, weil Wichtchen den ganzen Küchentisch vollgeschissen hatte, fragte die Frau: »Sonst noch was?«
»Sonst noch was«, fragt die blöde Kuh, als wäre mir meine Arbeitslosigkeit anzusehen. Als hätte ich auch nur das geringste Interesse für Schweinskopf mit Petersilienhaube oder Gebäck, von dem hier ein Stück so viel kostet wie drüben die ganze Packung!
»Nein, vielen Dank«, antwortete Verbist freundlich.
»Küchenpapier haben wir nicht.«
»Entschuldigen Sie«, murmelte er, fest entschlossen, diese Mistkuh, sicher eine abgebrochene Jurastudentin, bei der nächstbesten Gelegenheit zusammenzustauchen.
Und dieser ausgemergelte Beamte, der mir schon die ganze Zeit auf die Pelle rückt, hat nichts Besseres zu tun, als blöde zu kichern! Mistkerl!
Verbist kochte. Wenn Blicke töten könnten! Er wandte sich um, lachte nervös und eilte hinaus.
Niedergeschlagen machte er sich auf den Heimweg, derart deprimiert, dass er erwog, sich in der Kneipe zu besaufen. Gerade noch rechtzeitig besann er sich.
Erstens habe ich zu Hause genug Bier, und zwar von meiner Lieblingsmarke, und zweitens sitzen da keine Idioten rum und glotzen mich an.
In der Hoogstraat, etwa hundert Meter von seiner Wohnung entfernt, stand ein dicklicher Streifenpolizist und rollte sich eine Zigarette.
Verbist blieb stocksteif stehen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er blickte sich nicht um. Das Baby bekam nicht richtig Luft und begann zu zappeln. Verbist schlug den Kragen hoch, wechselte auf die andere Straßenseite und ging hastig weiter. Der Polizist, der mit seiner fleischigen Unterlippe das Zigarettenpapier anfeuchtete, blickte auf, als er ein Baby weinen hörte, aber Verbist war bereits um die Ecke gebogen. Seine Brust glühte von einer seltsamen Mischung aus Stolz und Erleichterung.
Man muss hin und wieder seinen Gefühlen Luft machen, sonst zerbricht man daran. Ein Ventil reicht nicht. Man muss seine Gefühle mit jemandem teilen, einem anderen sein Herz ausschütten können. Ich habe jetzt Wichtchen. Aber warum laufen mir dann die Tränen über die Wangen? Sich selbst entkommt man nicht.
Er blickte hinauf zum bewölkten Himmel.
Molok war nicht da. Er konnte sich unsichtbar machen, aber er war tatsächlich nicht da.
Verbist strahlte vor Stolz, denn seitdem er Vater geworden war, hatte Molok offenbar Angst.
In der Wohnung legte er das Kind vorsichtig in sein Kartonbettchen.
»Wichtchen, du bist das ideale Baby«, flüsterte er. »Es würde mich wundern, wenn es süßere gäbe.«
Er ging zum Kühlschrank, öffnete eine Flasche Bier und stellte das Milchfläschchen in die Mikrowelle. Er beobachtete das rote Lämpchen und pulte sich gedankenverloren in der Nase.
Nachdem er das Kind unter großer Anstrengung gefüttert hatte, ließ er sich erschöpft aufs Sofa fallen und starrte Sandras PC an. Er zwang sich, den Blick abzuwenden.
Als er sich ein wenig ausgeruhter fühlte, ging er zum Karton, wo ihm ein scharfer Uringeruch eine Gänsehaut verursachte.
»Dann müssen wir eben mal in die Badewanne«, murmelte Verbist tapfer und lächelte. »Alles wird gut. Alles wird irgendwann wieder gut.«
In der Wanne hielt er das Baby auf dem linken Oberschenkel und zuckte mit dem rechten beiseite, als kochend heißes Wasser darüberlief. Während er heftig an der Mischbatterie drehte, krähte Wichtchen laut und planschte lustig drauflos. Sie war eine richtige Wasserratte.
Verbist rieb sich über den blutroten Fleck auf seinem Bein, verbiss sich die Schmerzen und hielt vorsichtig die Hand unter den Wasserstrahl, der sich endlich lauwarm anfühlte.
Lächelnd betrachtete er die Plastiktiere, die in der Wanne schwammen. Er hatte sie schon vor Wichtchens Ankunft im Supermarkt gekauft. Lauter gelbe Plastikenten.
Im Sommer gehen wir schwimmen, das steht fest.
Nachdem die letzte Ente über den Badewannenrand geflogen war, machte sich Wichtchen auf die Suche nach einem neuen Spielzeug.
Soll ich eine Badehose tragen oder nicht? Ich weiß es wirklich nicht.
Das Dilemma ließ ihn erröten.
Erlauben oder verbieten? Das musst du ganz allein entscheiden, Herman. In der Erziehung muss man Grenzen setzen, und ich will
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