Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
die bohrenden Zweifel. Ängstlich schaute sie sich um, bis ihr Blick am Sofa hängen blieb.
Hier ist jemand in der Wohnung!
Sie schluckte. Ihre Halsmuskeln versteiften sich, und als sie sich umdrehen wollte, verweigerten ihre Beine den Dienst, als läge eine Kette um ihre Knöchel. Sie atmete tief durch und versuchte, ihre Nerven in den Griff zu bekommen. Steif machte sie einen Schritt vorwärts und schaute über die Schulter, vollkommen desorientiert.
Das Sofa. Es steht nicht mehr an der Wand. Der Typ hockt dahinter. Er hätte mich abstechen können, während ich …
Der Adrenalinstoß jagte sie geradewegs in die Küche, wo sie ohne jedes Gefühl für Raum oder Zeit eine Schublade öffnete.
Das Fleischermesser zitterte in ihrer Hand, als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte. Mit der freien Hand wischte sie sich die brennenden Schweißtropfen aus den Augen. Die Wohnungstür, keine drei Meter entfernt, schien unerreichbar.
Hilde Plaetinck biss die Zähne zusammen.
Dies ist meine Wohnung. Mein Zuhause!
Fest entschlossen lief sie zum Sofa, wo sie erneut zögerte. Doch dann trat sie kräftig gegen das Polstermöbel.
Nichts geschah.
Hilde Plaetinck ging um das Sofa herum und sah, dass der Telefonstecker aus der Anschlussdose gerutscht war.
Dieser dämliche Installateur!
Sie drückte den Stecker in die Dose, ging zum Fenster und schaute zwischen den Vorhängen hindurch.
Draußen nieselte es noch immer, und die dahintreibenden grauen Wolken, deren Konturen immer stärker verwischten, erschienen von Minute zu Minute dunkler.
Als ein Wagen um die Ecke bog, leuchtete das Gesicht des Mannes, der halb verborgen hinter einer Buche stand, im Scheinwerferlicht kurz auf. Doch das sah Hilde nicht. Sie starrte auf die Klinge des Fleischermessers, die im Schein der Straßenlaterne funkelte. Dann ließ sie das Messer aus den Fingern gleiten und zu Boden fallen. Sie schaute auf, am ganzen Körper zitternd, einen hilflosen, wilden Blick in den Augen und wie am Boden festgenagelt.
Minutenlang starrte sie auf das Mordinstrument, als könnte es tatsächlich aus eigener Kraft zum Leben erwachen und sie grässlich verstümmeln. Zum ersten Mal drang die bittere Wahrheit zu ihr durch, bis in jede Faser ihres Körpers. Ihr Gesicht wurde kreidebleich.
Irgendjemand wollte sie ermorden.
Mit einem Ruck schloss sie die Vorhänge und sank dann auf die Knie. Überwältigt von einem intensiven Gefühl der Ohnmacht, faltete sie die Hände im Schoß.
Mein Gott. Warum? Warum ich?
Während sie sich aufrappelte, hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, schaute sie zum Telefon. Ihr Blick wanderte zum Schreibtisch, und ihre Pupillen weiteten sich ruckartig, während sie sich an die Brust griff.
Das Foto ist weg.
Jozef Van Cleynenbreughel schien aufzuwachen. Seine Haut war grau, und Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Als das schwache Licht der Scheinwerfer über sein Gesicht streifte, drehte er sich zur Seite und drückte sich gegen den rauhen Baumstamm.
Mit der Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn und betrachtete sehnsüchtig Hilde Plaetincks Foto.
Dich lass ich nicht mehr gehen. Nie mehr.
Er schaute auf die Uhr und seufzte, übermannt von Schuldgefühlen. Er dachte an seine Frau und stellte sich vor, dass sie noch immer schön war und dass sie ihre Arme für ihn öffnete und er seine Wange gegen ihre drückte. Rasch schaute er über die Schulter, ein ohnmächtiges Verlangen in den dunklen Augen. Die Vorhänge waren zugezogen. Eine seltsame Mischung aus Bedauern und Erleichterung überwältigte ihn.
Wann hört das jemals auf?
Der glänzende Riesenlaster wirkte in der grauen Gegend vollkommen deplaziert. Deleu strich mit den Fingerspitzen über die verchromte Stoßstange. Dann schob er die Hände tief in die Manteltaschen und zwängte sich an dem MAN -Sattelschlepper vorbei in Richtung Garten, der mindestens einhundert Meter lang und mit Unkraut überwuchert war.
Am Ende des Gartens stand ein geräumiger Schuppen, offensichtlich aus Schrott und anderem Abrissmaterial zusammengezimmert. Als Deleu näher kam, bemerkte er, dass dieses Gebäude, genau wie das Wohnhaus, auch schon bessere Zeiten gesehen hatte: Die Schiebetür brauchte dringend eine Schicht Farbe, und das Wellblechdach war moosbewachsen und teilweise zerbrochen. Deleu schaute sich um. Von hier aus konnte man das Wohnhaus nicht sehen.
Als er zur Straße zurückkehrte und sich zwischen toten Ginster- und Brombeersträuchern hindurch
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