Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
Richtung.
Nadia Mendonck stand durchgefroren an einer Bushaltestelle, den Rücken gegen die Glasscheibe gedrückt. Geistesabwesend starrte sie auf ihre Schuhspitzen. Deleu hupte und machte eine hektische Kopfbewegung.
Nachdem Mendonck eingestiegen war, ignorierte Deleu seine Kollegin und informierte stattdessen Bosmans ausführlich über die neuesten Entwicklungen. Als er seinen Bericht beendet hatte, stellte er fest, dass jemand eine Nachricht für ihn hinterlassen hatte.
»Verdammt, Rob«, fluchte er und gab die Nummer zur Abfrage seiner Mailbox ein.
Die Stimme klang schleppend und gedämpft, als hätte der Mann am anderen Ende der Leitung sich ein Taschentuch vor den Mund gehalten: »Deleu. Dirk Deleu. Mann, das ist ja lange her. Wie geht’s dir denn so, Dirk? Ich hab gehört, du wirst wieder Vater. Meinen Glückwunsch.«
Nach einer kurzen Pause wurde der Ton der Stimme schärfer, bissiger: »Aber nicht zusammen mit Barbara. Keuschheit war noch nie deine Stärke, Dirk.« Der letzte Satz klang salbungsvoll. »Büßen, Deleu. Das ist das Einzige, was dir noch bleibt. Bis bald.«
»Wer, zum Teufel …?«, knurrte Deleu. Er drückte auf die Taste für »Anrufe in Abwesenheit«, aber es erschien keine Telefonnummer.
»Roger Wittewrongel, du alter Narr, willst du wieder mal alles verderben?«, murmelte Deleu, der seinen Schwiegervater im Verdacht hatte. Er wollte die Nachricht gerade löschen, besann sich im letzten Moment aber eines Besseren. Er erinnerte sich an die vielen Drohanrufe, die er damals von seinem Schwiegervater erhalten hatte, als durchgesickert war, dass Barbara und er sich trennen würden.
Deleu fluchte leise, schaltete das Mobiltelefon wieder auf normale Lautstärke, drehte den Zündschlüssel und knurrte mit gedämpfter Stimme: »Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, bring ich dich vor den Kadi.«
Der Motor heulte auf, und die qualmenden Reifen des Golfs hinterließen zwei schwarze Streifen auf dem Asphalt.
Nadia Mendonck saß schweigend neben ihm und warf einen kurzen Blick auf die Straße. Erst als sie sich räusperte, erkannte Deleu, dass seine Kollegin ihn gespannt ansah.
»Tut mir leid, Nadia«, sagte er, bog um die Ecke und trommelte nervös mit den Fingern auf das Lenkrad. Ein paar hundert Meter weiter, als er spürte, dass sie seine Hände musterte, hörte das Trommeln auf.
»Genervt?«
»Ja, ziemlich.«
»Wegen einer Frau?«
Deleu schüttelte den Kopf.
»Wer war das?«, fragte Mendonck, sah ihn durchdringend an und deutete auf sein Mobiltelefon.
»Mein Schwiegervater, glaube ich. Mein Ex-Schwiegervater. Aber es geht um was anderes: Diese junge Frau, Hilde Plaetinck, schwebt in Gefahr.«
»Wieso?«
Dieses Mal schaute Deleu seine Kollegin verwundert an.
»He, Dirk, ich kann nicht hellsehen.«
»Nein, du nicht, aber eine …«
»… Hexe«, schnitt Mendonck ihm grinsend das Wort ab. »Was ist los? Warum bist du auf einmal so aufgedreht?«
»Nadia, Herzchen, ich hab dir erzählt, dass ich bei der Frau von Van Cleynenbreughel war. Ich hab dir doch gerade in allen Einzelheiten geschildert, dass seine Frau tatsächlich von seiner Affäre mit Vandergoten wusste und dass die Hexe recht hatte und dass dieser Kerl wahrscheinlich durchgedreht ist und so weiter und so fort! Da ist es doch logisch, dass die beiden Frauen in Lebensgefahr sein könnten.« Deleu holte Luft und musterte seine Kollegin, die ihn gelassen ansah.
»Du hast mir gar nichts erzählt, Dirk. Du hast mich abgeholt, geflucht und gezetert und deine Mailbox abgehört. Ich hatte schon die Befürchtung, du wärst autistisch geworden.«
Deleu zog die Augenbrauen hoch.
»Schon gut«, sagte Nadia Mendonck. »Ich weiß genug. Und du hast recht. Diese Frauen könnten wirklich in Gefahr sein. Wir müssen dafür sorgen, dass sie …«
»Bosmans weiß schon Bescheid«, verkündete Deleu selbstzufrieden. »Und … noch mal Entschuldigung.«
»Wofür?«
»Für mein ungehobeltes Verhalten.«
Mendonck antwortete nicht. Schweigend betrachtete sie Deleu: Die zu lange Nase und die wirren Haare. Die jungenhaften Gesichtszüge. Sein sanfter, fast femininer Blick ließ sie verlegen zur Seite schauen. Als sie ihren Bauch streichelte, spielte ein melancholisches Lächeln um ihre Lippen.
Erst die herausgeplatzten Worte »Aber ich verspreche dir, dass ich unserem Kind ein guter und konsequenter Vater sein werde« ließen ihr Lächeln ersterben.
Deleu rutschte unbehaglich hin und her. Die tödliche Stille trieb ihm Schweißperlen
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