Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
suchen, Frau Kommissarin.«
Fast hätte Mendonck den Kaffee zurück in die Tasse gespuckt – nur mit Mühe gelang es ihr, die glühend heiße Flüssigkeit hinunterzuschlucken. Fragend schaute sie den Psychotherapeuten an, aber der Mann schwieg.
Die unheimliche Stille schien den ganzen Raum auszufüllen. Beherman lehnte noch immer an der Wand. Er spielte mit seinem Manschettenknopf. Neben ihm ragte ein riesiges Gemälde auf. Öl auf Leinwand, mit einer gewaltigen Kirche als Motiv.
Nadia Mendonck erkannte gotische Elemente. Der Mann und die Kirche. Die Kirche und der Mann. Mendonck schüttelte den Kopf, als wollte sie ihre Gedanken sortieren.
»Sie sind alle schon mal hier gewesen. Und sie sind krank. Alle, wie sie da sind. Sie übrigens auch, junge Frau. Haben Sie das gewusst? Aber machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Es wird alles wieder gut.«
Nadia Mendonck fühlte sich schläfrig. Die Worte drangen kaum zu ihr durch, und die Farben im Raum verschwammen, als würden sie verschmelzen. Reflexartig griff Mendonck nach ihrem Schulterhalfter, doch ihre Fingerspitzen kamen nur bis zu ihrem Schulterblatt. Dann musste sie sich mit beiden Ellbogen auf der Tischplatte abstützen. »Ich … ich fühl mich nicht gut … ich …«
Ein lautes Klicken veranlasste sie, sich umzusehen … keuchend und mit offenem Mund. Durch die rasche Bewegung schien es, als würde das Mobiliar tanzen.
Beherman stand breitbeinig vor ihr. Er spielte mit einer Fernbedienung und nahm seine Brille ab. Langsam. Er lachte. Seine Lippen bewegten sich. Sie verzogen sich, und als sie sich schließlich voneinander lösten, kam ein schwarzer Abgrund rasend schnell auf Nadia zu.
Instinktiv wollte sie die Hände hochreißen, fand aber nicht mehr die Kraft dazu. Und während sie hilflos aufschaute, gingen endgültig die Lichter aus.
Dass eine starke Hand ihr Kinn festhielt und so verhinderte, dass sie mit dem Kopf auf die Tischplatte aufschlug, bekam sie nicht mehr mit.
*
Als in Deleus Wohnung das Mobiltelefon klingelte, saß er gerade am Küchentisch, in der Hand ein Butterbrot mit einer dicken Scheibe reifem Camembert. Mit der anderen Hand fuhr er sich nachdenklich durch die Haare.
Vor ihm auf dem übervollen Küchentisch lag eine Puppe – ein sündhaft teures Spielzeug, das bei seiner Heimkehr an der Wohnungstür gebaumelt hatte.
Ihre funkelnden blauen Augen glichen Saphiren, und der Unterrock war aus reiner Seide genäht. Die blonden Haare wirkten wie echte Menschenhaare.
Deleu nahm die Puppe und drehte sie um.
Jemand hatte die Haare abgeschnitten, daran bestand kein Zweifel. Diese teuren Dinger wurden meistens mit langen Locken verkauft. Aber diese Puppe war anders, kein Fließbandprodukt. Es schien, als habe der Absender eigenhändig eine Frisur schneiden wollen – was ihm übrigens ganz gut gelungen war.
Irgendwie erinnerte ihn der Haarschnitt an Nadias Frisur, dachte Deleu, auf dessen Stirn nun tiefe Furchen erschienen.
Der Unterrock zeigte eine interessante Wölbung, als sei dieses Barbie-Lookalike schwanger. Deleu fühlte sich plötzlich unbehaglich, und er legte die Puppe auf den Tisch. Dann stand er auf und ging ins Bad, holte eine Pinzette aus seinem Kulturbeutel, setzte sich wieder an den Küchentisch und nahm die Puppe mit seinem Taschentuch auf. Vorsichtig hob er den Rock hoch.
Die Puppe fiel auf den Tisch. Sprachlos schob Deleu seinen Stuhl ein Stück zurück und starrte ungläubig auf den fleischfarbenen Bauch aus weichem Kunststoff, der aufgeschlitzt worden war und aus dem der Arm einer anderen, kleineren Puppe herausschaute.
Wie gebannt durch diesen faszinierenden und irritierenden Anblick hörte er sein Mobiltelefon nicht. Sein Blick wanderte zur Anrichte, aber seine Gedanken waren ganz woanders.
Plötzlich sprang Deleu auf und lief zur Anrichte.
Der anonyme Anrufer!
Hastig griff er nach dem Telefon.
Zu spät!
Auf dem LCD -Display leuchtete ein Symbol. Ein Telefongerät.
Deleu gab die Nummer seiner Mailbox ein, drückte sich das Handy ans Ohr und wühlte gleichzeitig mit der freien Hand in der untersten Küchenschublade, auf der Suche nach einer Plastiktüte.
Der Anruf stammte von Bosmans: Ob Deleu dringend ins Büro kommen könne. Und ob er bitte darauf achten könne, dass die Geräte, die ihm sein Arbeitgeber zur Verfügung stellte, auch einsatzbereit wären. Und ob er in Zukunft seine Privatangelegenheiten außerhalb der Dienstzeit erledigen wolle. Und ob er bitte schön einen Zahn zulegen könne,
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