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Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Titel: Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Víctor Conde
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    Auf dem Flur stieß sie gegen die Zimmertür ihres Großvaters. Jemand musste sie geöffnet haben. Als Tanya hineinspähte, wurde ihr eng ums Herz. Eigentlich hätte sie den blauen Nebel, der den Alten davontrug, gar nicht sehen dürfen. Auch nicht die Züge des im Nebel verborgenen menschenähnlichen und doch übernatürlichen Gesichts. Vor allem aber hätte sie nicht wie gelähmt dastehen dürfen, als ihr Großvater, der wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappte, versuchte, sie zu packen und mit hinein in den Nebel, in die Kälte, ins Vergessen zu ziehen. Es war Bastet, die ihr das Leben rettete. Die Katze kam wie ein Pfeil aus dem Zimmer geschossen und rannte zwischen Tanyas Beinen hindurch, sodass sie aus ihrer Erstarrung erwachte. Sie hustete, als ihr der Nebel die Kehle zuschnürte. Sie zwang ihre Muskeln, sich zu bewegen, schaffte es bis in ihr Zimmer und sperrte sich darin ein, fröstelnd und vor Kälte schlotternd, als wäre sie in der Antarktis.
    Ruhe bewahren. Tief durchatmen. Nicht weinen. Nachdenken. Hauptsache, ihr Herz hörte nicht auf zu schlagen. Hauptsache, ihr Verstand ließ sie jetzt nicht im Stich. Was zum Teufel war hier los!?
    » Teufel trifft es ganz gut«, erklang eine ruhige Stimme.
    Tanya machte einen Satz, als hätte sie jemand mit einer Nadel in den Hintern gepikst. Als sie sich umdrehte, hockte da das Mädchen mit den gefiederten Flügeln auf dem Fenstersims. In der Hand hielt es einen kleinen silbernen Gegenstand, in dem sich das Gesicht einer alten Frau spiegelte, die aber selbst nicht im Raum war.
    Tanya versuchte etwas zu sagen, aber sie brachte nur ein leises Glucksen heraus. Sie fürchtete, jeden Augenblick ohnmächtig zu werden.
    Der Engel hielt ihr eine Hand hin. »Im Moment können wir leider nichts für deine Familie tun, aber keine Sorge, wir werden sie nicht im Stich lassen.« In ihrem Lächeln lag eine große Aufrichtigkeit. »Wenn alles gut geht, werden wir sie aus der Gewalt der Lamassu befreien. Aber jetzt musst du dich in Sicherheit bringen, sonst ist alles verloren.«
    »Die … die wer? «, kreischte Tanya hysterisch. Irgendwo zwischen Panik und Entsetzen war ihr Luis’ Gedicht aus der Hand gefallen.
    Ihre Zimmertür bebte und überzog sich mit Reif. Jemand oder etwas hämmerte von außen dagegen.
    Der Blick des Engels verhärtete sich.
    »Wir haben jetzt keine Zeit für Diskussionen. Willst du weiterleben?«
    Tanya senkte als Zeichen der Zustimmung den Kopf.
    »Dann zieh dir was über. Es könnte gleich kalt werden.«

DIE VERLORENEN KINDER
    D er Reif bahnte sich seinen Weg durch die Tür, und mit ihm die Wesen, die jetzt ins Zimmer drangen. Tanya riss den Kleiderschrank auf, griff nach der erstbesten Jacke und rannte zum Fenster. Die Hände des Engels waren warm und zugleich forsch. Sie packten sie und zogen sie mit sich nach draußen, ins Nichts, das vierundzwanzig Stockwerke nach unten reichte.
    »Was machst du?«, rief Tanya entsetzt. Als sie nun die Wesen sah, die in die Körper ihrer Eltern und ihres Großvaters gekleidet ins Zimmer kamen, wimmerte sie nur noch wie ein neugeborenes Rehkitz. Durch die Tür konnten sie nicht, also blieb ihnen nur eine Wahl.
    »Keine Sorge, ich mache das nicht zum ersten Mal«, sagte die Dunkelhäutige. Sie umklammerte Tanyas Taille und warf sich einfach rücklings aus dem Fenster.
    »Nein! Bist du waaaaaaaahn…?« Ja, das war sie wohl, wahnsinnig, aber die Welt hatte sich ohnehin in ein einziges Irrenhaus verwandelt, da spielte das auch keine Rolle mehr. Die beiden fielen eine gefühlte Ewigkeit wie Mehlsäcke nach unten. Tanyas Turban ging auf, und das Handtuch verschwand im Nichts. Ihr nasses Haar flatterte in einem plötzlich aufkommenden Sturm, der ihnen den Smog der Stadt um die Ohren peitschte und auf der dem Wind abgewandten Seite des Hauses kleine Strudel erzeugte.
    Tanya hatte die Augen fest geschlossen, aber die kleinen Windstöße, die die Balkone im Vorbeiflitzen verursachten, zwei oder drei pro Sekunde, gaben ihr eine ungefähre Vorstellung davon, wie schnell sie hinuntersausten. Welche Geschwindigkeit war mindestens nötig, damit zwei Körper beim Aufprall auf dem Asphalt nur noch Brei waren? Würde der Richter Selbstmord in Betracht ziehen, wenn überall Engelsfedern herumlagen?
    Tanya hatte den Mund sperrangelweit aufgerissen

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