Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
hatte, spürte er, wie ihm eine Eiseskälte über den Rücken kroch, die jeden einzelnen seiner Wirbel, das spinale Nervensystem und sogar sein Blut in Sekundenschnelle einfror.
Fünf Finger.
Ein Handgelenk.
Eine Hand.
Was er sah, war eine menschliche Hand von der Größe eines Planeten.
Erik zeigte darauf, unfähig, etwas zu sagen.
Ninive nickte schweigend. »Er ist es«, sagte sie ehrfürchtig. »Der FEIND.«
»W…Wer …?«
»Als Luzifer an den von Gott am weitesten entfernten Ort fiel«, erklärte Ninive, »und als er die Finsternis und die Kälte sah, die fortan seine Heimstatt sein sollte, wurde er wahnsinnig. Es gab keinen Ort, an den er hätte fallen können, keine Einöde, die er sein Zuhause hätte nennen können, weil die Schöpfung Gott war und alles andere Nichts. Außerhalb von Gott gab es nur eines: die Verneinung allen Seins. Und darum blieb Luzifers Leiche für immer in der Nicht-Existenz hängen, wo sie seither alle Bosheit und allen Groll des Universums auf sich zieht. Auch die von Gott selbst.«
»Seine … Leiche?«
»Um es irgendwie zu benennen. Die Hölle ist kein loderndes Flammenloch, Erik.« Ninive bemühte sich um einfache Worte, damit er sie verstehen konnte. »Die Hölle ist der Körper des Ersten Engels Luzifer, der dort unten schwebt, wo der Herr ihn ausgesetzt hat.«
»Ich kann es kaum glauben«, flüsterte Erik mit weit aufgerissenen Augen.
»Ihr Menschen habt ihm durch eure Gebete eine menschliche Gestalt gegeben.« Sie deutete in eine bestimmte Richtung der sich unter ihnen erstreckenden Leere, auf einen Ort, wo sie nach einer Reise von mehreren Lichtjahren den Kopf jenes dantesken Körpers finden würden. »Luzifer ist einäugig. Er gab sein rechtes Auge als Pfand, um Gott noch ein einziges Mal zu sehen. Um ihn in Seiner ganzen Größe, Seinem ganzen Ausmaß zu betrachten und eine Vorstellung von Seiner Macht zu gewinnen. Und in dieser leeren Augenhöhle erstreckt sich eine Stadt namens Dis.«
»Dis!«
»Dis ist die Höllenstadt. Dort erhebt sich der Unglückspalast. Satan selbst regiert von diesem Palast aus die Hölle. Und zwar mit einem sekundären Körper, den er gleichzeitig mit der Stadt geschaffen hat.«
»Wie kann es sein, dass mir der Name so bekannt vorkommt? Dis. Wo habe ich das schon mal gehört?«
»Im Augenblick deiner Geburt. Als dich die Macht der Erzengel durchströmte, wusstest du, dass all diese Schrecken existierten. Und seit deiner frühesten Kindheit wurdest du darauf vorbereitet, sie zu zerstören.«
Erik verharrte eine ganze Weile schweigend. Über eine Stunde sah er den Seelen dabei zu, wie sie auf Luzifers Körper zustürzten, und versuchte, ihre stillschweigenden Schreie zu entschlüsseln.
Dorthin also gehen die tausend Sünder des heutigen Tages , dachte er. Arme Unglückswürmer. Letztendlich gab es doch eine kosmische Waage, die ihre Taten prüfte.
»Warum hast du mich hierher gebracht?«, wollte Erik wissen. »Warum wolltest du, dass ich Zeuge dieser Tragödie werde? Sehe ich vielleicht aus wie Faust, oder was?«
Ninive stellte ihm die gleiche Frage, die sie schon Tanya gestellt hatte: »Der Engel in dir ist bereit, ans Licht zu kommen, Erik. Wie empfängst du ihn? Was wirst du mit der Macht anstellen, wenn du sie zu deiner Verfügung hast?«
Ein paar angestrengte Falten gruben sich in die Stirn des jungen Mannes. »Ich verspüre einen schrecklichen Hass gegen alles, was ich da sehe«, gestand er und knirschte dabei so stark mit den Zähnen, dass es Funken sprühte. »Eine unbändige Lust, zu zerstören, zu töten, zu zermalmen, zu zerstampfen, diese Ausgeburt des Bösen und seine Sprösslinge in Staub und Asche zu verwandeln.« Er blickte Ninive an, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich will sie alle töten. Keinen einzigen Dämon, der sich in den Bereich der Schöpfung hineinwagt, will ich am Leben lassen.«
Sie nickte. »Das kommt daher, dass du das Wesen eines Strafengels in dir hast.«
»Eines was?«
»Eines Strafengels. Wie Michael oder Samael. Mit Feuerschwert und Lichtpanzer bewaffnete Engel, die davon besessen sind, die Horden der Finsternis zu vernichten. Ich weiß nicht, ob du mit den himmlischen Hierarchien vertraut bist. Im Himmel sind alle Wesen in neun Chöre unterteilt: Die Seraphim, Cherubim und Throne in der ersten Hierarchie. Die Gewalten, Tugenden und Mächte in der zweiten Hierarchie. Und die Fürstentümer, Erzengel und Schutzengel in der dritten und letzten Hierarchie. Eine einzige
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