Botschaften des Herzens: Roman (German Edition)
Fähigkeiten gehabt; andere Leute hingegen schon. Sarah erinnerte sie daran, dass sie in der Vergangenheit schon schwierige Dinge bewältigt und gut gemacht hatte. Sie dachte an alles, was sie seit dem Beginn dieser Festival-Organisation erreicht hatte, vom Lindy Hop über den Vortrag vor den Schulkindern bis hin zu dem Lektorieren der Texte angehender Autoren. Dermot ein paar Fragen zu stellen und ihm Gelegenheit zu geben, sich zu verschiedenen Themen zu äußern, konnte nicht schwieriger sein als das. Und doch kam es ihr irgendwie schwieriger vor.
Sarah blieb bei ihr und beruhigte und bestärkte sie, bis es Zeit wurde, auf die Bühne zu gehen. Der Vorhang war noch geschlossen.
Auf der Bühne befanden sich ein niedriger Tisch mit einer Tischdecke darauf und zwei Stühle. Auf dem Tisch standen zwei Gläser mit Wasser und eine Karaffe.
Dermot lächelte Laura bereits entgegen. »Vielleicht sollten wir uns die Hand schütteln, bevor es losgeht. Wie Boxer vor einem Kampf.«
Bei seinem Lächeln flatterten tausend Schmetterlinge in Lauras Bauch auf. »Ich interviewe dich. Das wird kein Kampf«, erklärte sie. Ihre Stimme zitterte.
Dermot hatte eine Mappe mit Papieren gegen den Stuhl gelehnt. »Ich weiß, du wolltest nicht, dass wir miteinander sprechen, aber ich habe das Gefühl, dass es wichtig wäre. Wir hatten keine Zeit – du bist die ganze Zeit weggelaufen und …«
Sie hielt die Hand hoch. »Nein, wirklich, du musst mir nichts erklären. Es ist in Ordnung. Ich habe schon verstanden.«
Sarah rief aus dem Hintergrund. »Es ist Zeit. Seid ihr zwei fertig?«
»Nicht wirklich«, meinte Dermot. Er blickte sie mit einem verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht an.
»Oh doch, das sind wir«, erklärte Laura fest. Sie wollte es endlich hinter sich bringen.
»Wir müssen unbedingt vorher noch reden«, setzte er an. »Was in Irland passiert ist …«
»Darüber müssen wir nicht sprechen. Tatsächlich müssen wir über überhaupt nichts mehr reden außer – oh, der Vorhang geht auf«, murmelte sie erleichtert.
Rupert stellte sie vor, und als Laura den Blick hob, erkannte sie die vielen Menschen im Zuschauerraum des Theaters. Sie sah Dermot an, um zu überprüfen, ob er auch zitterte, aber das schien nicht der Fall zu sein. Er blickte ungerührt hinaus ins Publikum.
Als der Applaus aufhörte, nahm Laura einen Schluck Wasser, damit ihr Mund nicht länger so trocken war. Jetzt ging es los.
Sie sagte die einleitenden Sätze auf, die sie vorbereitet hatte, und wandte sich dann mit der ersten Frage an Dermot:
»Also, erzählen Sie uns, Dermot, sind Sie gern zur Schule gegangen?«
Die Frage überraschte ihn, aber nach ein paar Sekunden war er in seinem Element. Er beschrieb, dass er in vielen Fächern sehr schlecht gewesen war und oft Proust unter dem Tisch gelesen hatte. Seine Mitschüler und Lehrer hatten ihn für völlig weltfremd gehalten, bis er einen Aufsatzwettbewerb gewann. Er fesselte mit seinen Erzählungen die Zuschauer, brachte die Leute zum Lachen, und alle liebten ihn.
»Und da ist etwas, das ich alle Schriftsteller gern frage: Welches Buch würden Sie mit auf eine einsame Insel nehmen? Wenn Sie für den Rest Ihres Lebens nur noch ein Buch lesen dürften, welches wäre es?«
Seine Augen lächelten, und für einen Moment fühlte sie sich zurückversetzt zu jenem Tag auf der Landzunge, als sie sich das erste Mal richtig unterhalten hatten. »Mein Gott, das ist eine schwere Frage! Zum Glück habe ich sie schon mal beantwortet.«
Sie nickte lächelnd.
»Es ist Ulysses .«
»Aber viele Leute empfinden James Joyce’ Texte als sehr sperrig.«
»Das sind sie auch, doch sie sind die Mühe wert.« Er redete noch eine Weile über Joyce und wandte sich dann erwartungsvoll wieder an Laura.
Ihre nächsten Fragen waren genauso erkenntnisreich wie Party-Smalltalk, das wusste sie, doch glücklicherweise beantwortete Dermot sie ganz großartig. Jedenfalls lachten die Leute im Publikum im einen Moment Tränen, im anderen beugten sie sich vor, um ja keine Einzelheit zu verpassen.
Nachdem Dermot »aufgewärmt« war, musste Laura ihm jetzt die wichtigste Frage stellen. Sie war ein bisschen riskant, aber jeder Interviewer, der etwas auf sich hielt, hätte das gefragt. Noch ein Schluck Wasser, ein tiefer Atemzug, dann war es so weit. »Dermot, seit ein paar Jahren sind keine neuen Bücher von Ihnen erschienen. Würden Sie uns den Grund dafür nennen?«
Sie fühlte sich wie ein Judas und konnte ihn nicht ansehen, aber sie
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