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Bottini, Oliver - Louise Boni 01

Titel: Bottini, Oliver - Louise Boni 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mord im Zeichen des Zen
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Kerzen. Ein winziges, glasloses Fenster ging auf die rückwärtige Seite des Kanzan-an hinaus.
    «Sehen Ihre Zimmer auch so aus?» Sie schloss die Tür und hob die Lampe.
    Georges’ Gesicht war schmal und unruhig. Die Augen wirkten nachdenklich, ganz so, als wüsste er noch nicht genau, ob der Rückzug ins Kanzan-an die richtige Entscheidung gewesen war. Seine Miene drückte Hoffnung und Sorge aus. Mut und Kraftlo-sigkeit. Er faltete die Hände vor dem Bauch, auf die christliche Weise, die Finger verschränkt. «Ja. Wir brauchen nicht mehr.»
    Sie ging ein paar Schritte an den Fenstern entlang.
    Georges und Richard Landen folgten ihr nicht. Inmitten der Dunkelheit draußen leuchtete ein gelbes Au-ge. Die Dharma-Halle. Sie glaubte, die Schatten von Sitzenden zu erkennen. Aber keine Bewegungen.
    An dem Fenster, hinter dem sie den Jungen bemerkt hatte, blieb sie stehen. Ein Kind im Wald östlich von Liebau, wo Taro verschwunden war, ein Kind im Kanzan-an, wo Taro gelebt hatte.
    Sie fragte sich, wie viele Kinder es im Raum Mulhouse / Freiburg geben mochte. Zehntausende. Sie sah Bermann in höhnischer Verzweiflung die Hände vor dem Gesicht zusammenschlagen.
    No children in Kanzan-an.
    Sie kehrte zu Georges und Landen zurück. «Woh-nen im Moment Gäste im Kloster?»
    «Ja.»
    «Gäste mit Kindern?»
    Georges lachte erneut. Sein Lachen war sanft und spontan. Es gefiel ihr. Es machte die Unentschlossenheit für Momente wett. «Ich würde eher sagen: Gäste mit Erwachsenen. Wir haben im Augenblick acht Kinder mit drei Betreuern zu Besuch.»
    «Was für Kinder?»
    Georges erwiderte, Genaues wisse er nicht. Er habe gehört, es seien asiatische Waisenkinder. Kinder, die aus dem Elend gerettet worden seien und hier ein neues Leben begännen.
    «Hier? Im Kanzan-an?»
    «In Europa.» Wohltätige Organisationen wie UNICEF und terre des hommes sammelten Kinder auf den Straßen asiatischer Großstädte auf und brächten sie in buddhistischen oder christlichen Heimen unter. Für manche fänden sich europäische Adoptiveltern. Die Kinder im Kanzan-an gehörten dazu. Sie erholten sich im Kloster von den Strapazen der Reise. Dann würden sie zu ihren neuen Familien gebracht.
    «Wer hätte das gedacht», sagte Louise zu Richard Landen. «Ein Hort der Menschlichkeit in einer Gruft wie dieser.» Sie gab Georges die Lampe zurück.
    Während sie in den zweiten Stock gingen, fasste sie für Richard Landen zusammen, was sie erfahren hatte. Dann bat sie ihn, auf Deutsch zu wiederholen, mit welchen Worten er den Roshi nach jungen Kanzanan-Schülern gefragt habe. Landen sagte, er habe gefragt, ob unter den Zen-Schülern auch Kinder seien.
    Sie seufzte. No. No children in Kanzan-an.
    Taros Zelle glich der, die sie im ersten Stock gesehen hatten. Der einzige Unterschied war, dass an der Wand eine dunkle Kutte hing. Bewohnt wirkte auch dieser Raum nicht. Minutenlang ließ sie den Blick über Matratze, Fenster, Kutte gleiten und wartete auf die intuitive Gewissheit, dass Taro eines Tages hierher zurückkehren würde. Sie blieb aus.
    Leise schloss sie die Tür. Sie trat an die Fensterfront und schaute erneut auf die unsichtbare Lichtung hinab. Aus der Dunkelheit sah sie das kleine gelbe Auge an.
    Sie stand noch immer am Anfang. Das Kanzan-an hatte sein Geheimnis nicht preisgegeben.
    Schweigend stiegen sie die Treppe hinunter. Georges, der vorausging, verbarg nicht, dass er es eilig hatte. Hektisch klapperten seine Sandalen über die Stufen. Zur Unentschlossenheit schien sich Unbehagen gesellt zu haben. Fragte er sich, ob er zu viel er-zählt hatte? Fürchtete er den Zorn des Roshi? Vielleicht wollte er auch nur rasch zu dem kleinen gelben Auge.
    Auf dem Treppenabsatz des mittleren Geschosses hielt er abrupt inne und hob die Lampe. Der weiche Lichtschein fiel auf ein rundes, waches Kindergesicht.
    Dicht an der Fensterwand stand der asiatische Junge.
    «Na so was», sagte Richard Landen, als der Junge zu ihm trat, und bückte sich.
    Der Junge begann zu sprechen. Er deutete auf Louise und sah sie kurz an, dann wandte er sich wieder Landen zu und deutete auf ihn. Dann schwieg er.
    Landen räusperte sich. «Er kommt aus Vietnam.»
    «Und was sagt er?»
    «Das weiß ich leider …‼ Er brach ab. Aus dem dunklen Gang drangen Geräusche. Eine Tür war ge-
    öffnet worden, jetzt erklangen dumpfe Schritte. Zu sehen war nichts. Louise, Landen und Georges blickten in den Gang. Nur der Junge hatte sich nicht bewegt.
    Die Schritte näherten sich rasch. Eine

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