Bottini, Oliver - Louise Boni 01
Augen, die kraftlosen Mundwinkel die Antwort darauf gaben, war es auch nicht notwendig.
Die Kolonne setzte sich in Bewegung. Einer der französischen Polizisten bot ihnen eine Zigarette an.
Sie lehnten ab. Er zündete sich eine an und öffnete das Beifahrerfenster einen Spalt. Zwischen kahlen Fels-wänden blitzte plötzlich die Sonne auf. Louise sank zurück. Ihre Schulter schmerzte, der Rauch kratzte in der Kehle, über ihre rechte Kopfseite strich eiskalte Luft. Sie schloss die Augen, machte sie gleich wieder auf. Mit einem Mal war die Erregung da. Sie hatten Steiner! Die erste konkrete Spur zu Asile d’enfants. Zu Natchaya, zu Pham. Vielleicht gab es Hoffnung.
Doch so schnell die Erregung gekommen war, so schnell erlosch sie auch wieder. Für Niksch und wohl auch für Taro kam alle Hoffnung zu spät.
Die beiden französischen Polizisten brachten sie auf einen niedrigen Hügel an der linken Flanke des Tals. Dort warteten Hugo Chervel und Bermann in einem nicht gekennzeichneten Peugeot. Sie blickten herüber. Chervel winkte ihr flüchtig zu.
Sie stiegen in den Peugeot. Der Citroën wendete und verschwand. Die ersten Sonnenstrahlen erreichten das Tal. Sie standen ein Stück von der Kuppe des Hügels entfernt und konnten das Haus im Tal nicht sehen. «Fünfzehn Minuten», sagte Chervel.
Über Funk verfolgten sie, wie die französischen Beamten Position bezogen. Bermann verstand nicht alles, Louise übersetzte einzelne Wörter. Lederle schwieg. Sie spürte, dass er in Gedanken an einem anderen Ort war. Er hatte Recht: Sie mussten reden, wenn dies alles vorbei war. Aber sie begann sich vor dem zu fürchten, was er zu sagen hatte.
Punkt acht Uhr kam über Funk der Befehl zum Losschlagen. Chervel nickte ihnen zu, und sie stiegen aus. Nebeneinander traten sie an die Hügelkuppe. Es war eiskalt. Wenigstens ging kein Wind. Chervel hob ein Fernglas.
Das verschneite Tal lag etwa fünfzig Meter unter ihnen, das Haus Steiners war einhundert Meter Luftlinie entfernt. Ein gesichtsloses, einfaches graues Haus, nicht allzu groß, mit einem Spitzdach. Die Ja-lousien vor den Fenstern waren heruntergelassen. An den Außenwänden klebten wie riesige schwarze Insekten geduckte Polizeibeamte in Zivil. Auf halber Höhe des Hügels hockten drei, vier Scharfschützen hinter Felsen im Schnee. Zwanzig Meter neben dem Haus befand sich ein weiteres, größeres Gebäude, vermutlich ein Stall oder eine Scheune.
Jetzt fuhren Streifenwagen vor. Uniformierte sprangen heraus und gingen dahinter in Deckung.
Justin Muller kniete hinter dem ersten Wagen. Über Megafon wurden die Leute im Haus aufgefordert, sich zu ergeben. Nichts geschah.
Chervel senkte das Fernglas und zündete sich eine Zigarette an.
«Du hättest an Stühle denken können, Chervel», sagte Bermann auf Deutsch.
Plötzlich entstand am Stall Bewegung. Zwei Polizisten führten ein Mädchen heraus und brachten es im Laufschritt zum nächsten Streifenwagen. Louises Blick blieb auf dem Mädchen. Es trug eine Schürze und war schmal und klein. Schwarze Haare, dunkler Teint. Eine Asiatin? Das Alter ließ sich aus dieser Entfernung schwer schätzen. Kein Kind mehr, aber auch keine erwachsene Frau.
«Teresa, das Hausmädchen», sagte Chervel. «Eine Filipina. Katholikin, zwanzig Jahre. Arbeitet seit drei Jahren für Steiner. Zwei Abtreibungen, jetzt ist sie sterilisiert. Ist halt praktischer.»
Teresa, dachte Louise. Niksch und Theres. Theres und Niksch. «Ihr seid ja gut informiert», sagte sie und ließ sich das Fernglas geben. Mit der rechten Hand hob sie es an die Augen.
«Ich dachte immer, ihr Flics habt weniger Befugnis-se als wir», sagte Bermann. «Wir wissen nicht, ob jemand sterilisiert ist oder nicht und wie viele Abtreibungen jemand hatte.»
Chervel sagte nichts.
Als Louise das Fernglas scharf gestellt hatte, saß das Mädchen bereits in dem Polizeiwagen. Es hatte die Hände vor das Gesicht gelegt und den Kopf gesenkt. Der Wagen stieß zurück und fuhr davon.
Sie gab Chervel das Fernglas zurück. Am Haus tat sich noch immer nichts. Die Megafonstimme wiederholte ihren Satz, kurz darauf ein weiteres Mal.
Nichts.
«Scheiße», murmelte Chervel. Er hob das Funkgerät. «Geht ihr rein?»
«Ja», sagte eine Männerstimme.
Louise ließ den Blick über die französischen Beamten gleiten. Keiner hielt sich ein Funkgerät ans Ohr.
Sekunden verstrichen, ohne dass etwas geschah.
Niemand im Tal schien sich zu bewegen.
«Mensch, dass du nicht an Stühle gedacht hast»,
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