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Bottini, Oliver - Louise Bonì 02

Titel: Bottini, Oliver - Louise Bonì 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Im Sommer der Mörder
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dann war die ethnoromantische Zeit vorbei, sie wurden realpolitisch. Mahr nahm den institutionellen Weg, diente sich in der Partei nach oben, Aziza engagierte sich parteilos, erst gegen Zia ul-Haq, der 1977 geputscht hatte und das Land islamisierte, in den achtziger Jahren für Benazir Bhutto, deren Vater Zia ul-Haq hatte hinrichten lassen. Ein kurzer Traum von Demokratie und Freiheit, als Benazir 1988 zum ersten Mal Ministerpräsidentin wurde, aber sie regierte unglücklich, stand bald unter Korruptionsverdacht, zwei Jahre darauf wurde sie abgesetzt. Der Traum zerplatzte, sie gingen einen eigenen Weg, ohne Benazir. »Wir haben PADE gegründet, nachdem Benazir Ministerpräsidentin geworden war«, sagte Mahr, »im Dezember 1988. Wir wollten landwirtschaftliche Projekte fördern, die Demokratisierung des Landes unterstützen … Aber das wissen Sie sicher.«
    Sie nickte.
    »Wir wollten eine pakistanische Form der Demokratie schaffen. Wir dachten, das wäre möglich. Es ist auch möglich.«
    Er schwieg.
    »Dann starb sie«, sagte Louise.
    »Dann starb sie«, sagte Mahr.

    Auch über dem Dreisamtal hingen die schweren, tiefen Wolken, auch dort regnete es nicht. Sie verließen die B 31. Niemand folgte ihnen. Mahr hatte den Kopf abgewandt, blickte in die Dunkelheit links der Landstraße nach Kirchzarten, wo Riedingers Bauernhof lag, wo vor zwei Tagen ein junger Muslim aus Jaijce einen Mord begangen hatte, weil er, Mahr, in Panik geraten war.
    »Dann kam der Jugoslawienkrieg«, sagte Louise.
    Mahr nickte. Der Genozid an den Muslimen.
    Thomas Ilic sagte etwas. Wieder musste sie nachfragen.
    »Nicht jetzt, ja?«
    Sie nickte. »Okay.«
    Ihr Blick begegnete dem Mahrs. Sie kannte diesen Blick. Fast alle Täter, mit denen sie nach der Verhaftung gesprochen hatte, hatten sie irgendwann auf diese Weise angesehen. Ich muss jetzt reden, sagte der Blick. Ich muss erzählen. Die eigene Geschichte war so wichtig, dass sie ihretwegen ein Verbrechen begangen hatten. Aber das Verbrechen hatte keine Erlösung gebracht. Nur das Erzählen brachte Erlösung.
    »Nicht jetzt, Mahr«, sagte sie.

    Adam Baudys blaues Häuschen lag im Dunkeln, doch in der Tischlerei im Hof brannte Licht. Ein weiterer Mensch, der nachts nicht schlief. Thomas Ilic stieg aus. Sie klopfte gegen das Fenster, bedeutete ihm, eine Minute, Illi, okay? Er bemerkte es nicht. Er tat nichts, stand nur da, neben dem Wagen.
    »Der Jugoslawienkrieg«, sagte sie, »aber machen Sie’s kurz.«
    Der Jugoslawienkrieg, wiederholte Mahr, der Krieg gegen die Muslime. Die Kroaten bekamen Milliardenkredite vom Vatikan, Waffen und Geld aus dem Westen, Waffen sogar vom BND
    über Ungarn. Die Slowenen kauften sich frei. Die Serben hatten die Waffen der Jugoslawischen Volksarmee. Also mussten die Muslime sterben, die anfangs weder Geld noch Waffen hatten, und das war ja auch das Ziel, es war ein Krieg Europas und der USA gegen die Muslime.
    Sie sagte nichts. Was hätte sie sagen sollen? Nur eines: Dass dieser Krieg jedes Mal anders war, wenn jemand anderes von ihm sprach.
    Draußen stand Thomas Ilic und tat nichts.
    Denn darum ging es, sagte Mahr. Die christlichen Kroaten und die orthodoxen Serben und der Westen hatten ein gemeinsames Ziel: einen europäischen islamischen Staat zu verhindern. Sie wollen Beweise? Es gibt Beweise. Die USA wussten frühzeitig von Srebrenica, sie wussten, dass die Serben die Stadt angreifen wollten, das können Sie bei Amnesty International nachlesen.
    Die Kroaten zerstörten die Brücke von Mostar, kämpften gegen muslimische Truppen, verhinderten die Rückkehr muslimischer Flüchtlinge. Die UNO richtete eine No Fly Zone ein, um zu verhindern, dass iranische Flugzeuge mit Waffen in Tuzla landeten. Die Moscheen, die Basare, die islamischen Einrichtungen, sagte Mahr, alles Muslimische auf dem Balkan wurde zerstört, und wir saßen da und konnten nichts tun …
    Louise dachte: wir, wir Belutschen, wir Pakistaner, wir Muslime, wir, Aziza und ich.
    »Da hat es angefangen«, sagte sie. »Im Jugoslawienkrieg.« Er nickte. Ja, da hatte es angefangen. Bewässerungsprojekte, Gender-Projekte, Kulturprojekte für Belutschistan, alles schön und gut, aber was, wenn eines Tages die Amerikaner kamen oder die Inder oder die Iraner? Er flog nach Panjgur, fuhr in Azizas Wüstenort, sagte, könnt ihr euch dann verteidigen? Der alte Jinnah winkte ab, die kommen nicht, der junge Jinnah war Feuer und Flamme, die kommen nur dann nicht, wenn wir stark sind. Der alte Jinnah sagte Nein.

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