Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
tun, haben wir gesagt, der Konflikt muss regional begrenzt bleiben, er muss … Um Himmels willen, sie hatten wegen Paris schon Kontakt zur algerischen Armed Islamic Group aufgenommen, aber das wollten wir unter keinen Umständen, wir wollten nicht mit Terroristen zusammenarbeiten … wir wollten keinen Terroranschlag auf westeuropäischem Boden …
und dann wurde das Depot gesprengt, und plötzlich war … Die ganze Situation war plötzlich kritisch … Sie glaubten uns nicht, dass wir mit der Sprengung nichts zu tun hatten, sie glaubten, wir hätten sie betrogen, sie wollten herkommen und verlangten, dass ich ihnen Visa besorge, und so …« Er sackte auf dem Sessel zusammen, schlug die Hände vors Gesicht, sagte undeutlich: »Aber wer denn dann, wenn nicht Sie?«
»Wissen Sie, was das ist, Krieg?«, fragte Thomas Ilic.
Louise trat zu ihm, nahm seine Hände. Sie waren feucht und sehr kalt. Sie spürte keine Kraft darin. Der Schock kam nicht fünfzehn Jahre später, sondern in derselben Nacht.
»Gehen wir doch endlich«, murmelte er.
»Ja, wir gehen jetzt, Illi. Aber wir können noch nicht in die Direktion zurück.«
»Nein.«
»Wir müssen jetzt zu Adam Baudy.«
»Ja.«
»Nur noch zu Baudy, Illi, dann ist Schluss, den Rest überlassen wir Pauling und dem Kommando.«
»Ja«, murmelte Thomas Ilic.
»Was denn für ein Kommando?«, schrie Mahr.
»Aber wir müssen aufpassen, Illi«, sagte sie. »Vielleicht sind sie hier oder folgen uns.«
»Die einen oder die anderen«, sagte Thomas Ilic.
Sie nickte. Die einen oder die anderen.
Draußen nahmen sie Mahr in die Mitte. Vor ihm ging Thomas Ilic, hinter ihm ging Louise. Die Nacht war noch dunkler und stiller als vorhin. Ihr Blick hetzte über den Garten, die Hecke, alles dunkel und still, zu hören waren nur ihre Schritte, ihr Atem und eine Stimme in ihrem Kopf: Wir werden dich töten. Aber da war niemand.
21
THOMAS ILIC FUHR, Louise saß hinten neben Mahr. Sie hatten ihm Handschellen angelegt, er hatte es wortlos akzeptiert.
Jetzt sah er reglos aus dem Fenster, schien nichts mehr wahrzunehmen, nicht, dass es zu regnen begonnen hatte, dass sie vergeblich versuchte, Adam Baudy zu erreichen, dass sie die Verstärkung nach Kirchzarten umbestellte, mit Bermann stritt, der mitten in den Erstvernehmungen steckte und wie erwartet nichts wissen wollte von Shah-was und Jamal – schien nur noch die Dunkelheit draußen wahrzunehmen und dass dies das Ende war.
Als sie in den Tunnel kamen, schrak er zusammen.
»Erzählen Sie mir von Aziza«, sagte Louise.
Da senkte Mahr den Kopf und begann zu weinen.
Sie hatten sich 1975 in Karlsruhe kennen gelernt. Er war Lehrbeauftragter am Zentrum für angewandte Rechtswissenschaft gewesen, sie die Sekretärin eines pakistanischen Wissenschaftlers, der im Kernforschungszentrum ausgebildet wurde. Sie war nach Pakistan zurückgekehrt, er nachgekommen, ein Jahr später hatten sie in Deutschland geheiratet. Sie waren nach Bonn gezogen, später nach Stuttgart, schließlich nach Freiburg, dazwischen immer wieder für Monate in Pakistan gewesen, in ihrer Heimat, Panjgur, sagte Mahr, das werden Sie nicht kennen, eine Stadt in der Wüste, die Provinz heißt Belutschistan.
»Ja«, sagte Louise, »Belutschistan, hab davon gehört.«
»Unsere Heimat«, sagte Mahr.
Sie nickte.
Aziza hatte die Heimat immer wieder gern verlassen, er war immer wieder gern zurückgekehrt. Er hatte die Menschen ihrer Heimat verehrt, diese einfachen, armen, wilden Menschen, Ethnoromantik nannte man das vielleicht, sagte er, er war der Ethnoromantik verfallen. Er hatte Muslim werden wollen, ein muslimischer Wüstenmensch, doch das hatte Aziza ihm ausgetrieben, wir brauchen dich, hatte sie gesagt, aber nicht in einem Zelt in der Wüste.
»Wir?«
»Wir Belutschen, wir Pakistaner. Wir Muslime.«
»Verstehe.«
»Aber sie ließ mir Zeit«, sagte Mahr. »Sie ließ mich ethnoromantisch sein, in einem Zelt in der Wüste Urlaub machen, mit Turban und Bart durch Belutschistan reiten. Es gibt Fotos aus dieser Zeit, da sehe ich aus wie einer aus Bin Ladens Horde.«
Er lachte verzweifelt.
Als ob du das nicht wärst, dachte sie.
Aber sie fand Mahr nicht unsympathisch. Er wusste, dass er verloren hatte, und gab es zu. Das unterschied ihn von vielen anderen Politikern, die nie verloren, die immer gewannen, egal, was geschah. Andererseits, er hatte getan, was er getan hatte.
Thomas Ilic sagte etwas. Sie lehnte sich vor. »Was?«
»Und dann«, sagte Thomas Ilic.
Und
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