Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
Tagen war Bermann beinahe nett zu ihr gewesen.
Seit gestern Abend kam wieder der alte Bermann durch.
»Er ist gestresst«, sagte Thomas Ilic.
»Ich bin auch gestresst, und trotzdem bin ich höflich.«
Sie sahen sich an.
»Zumindest hin und wieder«, sagte sie.
Sie setzte Thomas Ilic an der Direktion ab. »Das sollten wir mal wieder machen«, sagte er. Sie nickte, sie wusste, was er meinte.
Ein Team bilden. Zusammenarbeiten. Über Väter reden. Die komplizierten Dinge des Lebens.
»Wenn du mal Hunger hast, ruf an, Illi.«
Thomas Ilic lächelte. »Wenn wir die Pakistaner haben.«
»Wenn wir die Pakistaner haben.«
Zu Hause öffnete sie die Fenster, zog die Vorhänge zu, stieg aus der Jeans, streifte das T-Shirt ab. Sie klebte am ganzen Körper, die biochemischen Stoffe waren ausgeschwitzt. Auf dem Anrufbeantworter waren drei Nachrichten. Die ersten beiden stammten von ihrem Vater. Beide begannen mit »Chérie«, beide übersprang sie. Die dritte Nachricht stammte von Katrin Rein, die bei »Ihrem Kollegen« gewesen war und sagte: »Das war gut, dass ich bei ihm war, also, ich glaube, ich kann ihm helfen, ich kann ihm ein paar Namen und Adressen geben, ihn auf den Weg bringen und so.«
»Schön«, sagte Louise gähnend, während sie den BH auszog.
»Es war am Anfang etwas schwierig, aber dann, also, es ging dann besser, ich glaube, ich konnte ihn überzeugen …«
»Bestimmt.«
»Aber was ist mit Ihnen … «
»Was soll mit mir sein?« Sie streifte den Slip ab.
»… gehen nicht zu den AA, Sie haben keine Therapiesitzungen mehr, Sie …«
»Ach so, das«, sagte sie und betätigte die Stopptaste.
In der Duschkabine fiel ihr Thomas Ilic’ letzter Satz ein: Wenn wir die Pakistaner haben. Sie hatte plötzlich den Eindruck, dass hinter diesem Satz ein weiterer Satz lauerte. Aber sie war zu müde, um darüber nachzudenken.
Die ausgeschwitzten biochemischen Stoffe klebten hartnäckig an ihrer Haut. Es dauerte eine Weile, bis sie sie in den Abfluss geschrubbt hatte.
Vor dem Spiegel dachte sie an den anderen Bruder und fragte sich, was sie mit ihm anfangen sollte.
Er ist doch da, Chérie. Er ist doch Gott sei Dank wieder da.
So also hatte ihr Vater die eigene Verzweiflung getilgt.
Dann dachte sie wieder an Thomas Ilic’ Satz. Wenn wir die Pakistaner haben. Gähnend ging sie ins Wohnzimmer. Der Satz kam mit. Sie trat an den CD-Player. »Shine on you crazy diamond« in der Endlosschleife.
Im Schlafzimmer legte sie Handy und Schnurlostelefon auf den Nachttisch, stellte den Wecker auf Viertel nach fünf, dann auf halb sechs, dann auf Viertel vor sechs.
Als sie im Bett lag, wurde Thomas Ilic’ Satz immer schneller.
Wenn wir die Pakistaner haben wenn wir die Pakistaner haben.
Ein Ohrwurm aus fünf Wörtern. Wieder dachte sie, dass dahinter, irgendwo in den Tiefen ihres erschöpften Gehirns, ein weiterer Satz lauerte.
Sie schloss die Augen.
Dann war der Satz hinter dem Satz da – und mit ihm ein weiterer.
Es ging nicht um die Pakistaner.
Es ging nur um die Pakistaner.
Dann war sie eingeschlafen.
IV
DIE NACHT DER MÖRDER
15
DAS TELEFON WECKTE SIE. Sie schlug die Augen auf, rührte sich nicht. Vivaldis »Frühling«, also war der Anruf nicht so wichtig. Nur Katrin Rein, Günter, ihr Vater und die Esten riefen noch im Festnetz an. Ihr Blick fiel auf den Wecker. Vier Uhr. Nicht einmal fünfzehn Minuten geschlafen. Sie schloss die Augen.
Doch etwas war anders als vor fünfzehn Minuten.
Sie öffnete die Augen. Die Musik war aus, die Pink-Floyd-Endlosschleife unterbrochen. Sie fuhr hoch, starrte auf das Nachttischchen. Dort lag nur noch das Mobilteil, das Handy war fort.
Vivaldi setzte aus, begann von neuem. Sie griff nach dem Telefon. Keine Nummer auf dem Display. Eine unbekannte Männerstimme sagte: »Wir müssen reden, Frau Bonì.« Die Stimme klang sehr freundlich, sehr nah. »Reden, Frau Bonì, nur reden. Haben Sie keine Angst, okay?«
Schauer liefen ihr über den Rücken.
Sie waren in ihrer Wohnung.
Als sie sich anzog, fror sie wieder. Sie zwang sich zur Ruhe. Sie hätten sie im Schlaf töten können, wenn sie das gewollt hätten.
Sie hatten es nicht getan, also wollten sie sie nicht töten.
Reden, Frau Bonì, nur reden. Worüber? Über die andere Geschichte? Die Explosion des Waffendepots?
Sie hob das Vivaldi-Telefon ans Ohr. Die Leitung war tot, wie erwartet. Sie wollten zwar nur reden, aber allein.
Sie sah sich nach einer Waffe um. In der Nachttischschublade fand sie einen
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