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Bradbury, Ray - Halloween

Bradbury, Ray - Halloween

Titel: Bradbury, Ray - Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halloween
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Bettler unterging, die hungernd durch Irland zogen.
Wally Babb, der Wasserspeier, flog in den fünften
Stock, wo aus den Wänden Ellbogen und Glieder
und Buckel sprossen und wo Fratzen von der Ausgelassenheit und dem feinen Humor der Wasserspeier
kündeten.
Und schließlich sauste Tom Skelitt auf dem Geländer hinunter und stieß im Schatten der an Gräbern
kauernden Frauen weiße Zuckerschädel um, als wären sie Kegel in einem grausigen Spiel, während
Blaskapellen aus winzigen Gerippen mückenfeine
Melodien spielten und Downground von weit oben
auf dem Dach, hinunterrief:
»Na, Jungs, begreift ihr? Es ist alles eins,
stimmt’s?«
»Ja«, murmelte einer.
»Immer dasselbe, aber immer anders. In jeder Zeit,
jedesmal. Immer war der Tag vorüber. Immer zog
die Nacht heran. Und hast du, Höhlenmensch, oder
du, Mumie, nicht immer Angst, die Sonne könnte nie
mehr zurückkehren?«
»Ja«, flüsterten einige.
Und sie sahen hinauf durch den Treppenschacht
des großen Hauses und sahen jede Epoche, jede Geschichte und alle Menschen der Menschheitsgeschichte, wie sie die Sonne beim Auf- und Untergehen beobachteten. Der Höhlenmensch zitterte. Die
Ägypter stimmten Klagegesänge an. Griechen und
Römer ehrten ihre Toten öffentlich. Der Sommer
starb. Der Winter trug ihn zu Grabe. Eine Milliarde
Stimmen klagten. Der Wind der Zeit schüttelte das
große Haus. Die Fenster klirrten und brachen wie die
Augen eines Menschen in kristallene Tränen aus.
Doch dann begrüßten zehntausendmillionen Menschen mit Jubelschreien die helle Sommersonne, die
langsam aufging und jedes Fenster Feuer sprühen
ließ.
»Seht ihr, Jungs? Denkt nach! Immer sind Menschen verschwunden. Sie sterben, ach, sie sterben.
Aber sie kehren in Träumen zurück. Diese Träume
nannte man Geister, und sie haben Menschen zu allen Zeiten geängstigt …«
»Ah!« schrien Milliarden Stimmen in Kellern und
Mansarden.
Schatten krochen die Wände hinauf wie in alten
Filmen, die in alten Kinos noch einmal gezeigt wurden. Rauchwölkchen schwebten mit traurigen Augen
und brabbelnden Mündern über Türen.
»Tag und Nacht. Sommer und Winter, Jungs.
Saatzeit und Ernte. Leben und Tod. Das alles ist Halloween. Mittag und Mitternacht. Geboren werden,
Jungs. Hinfallen und sich tot stellen wie ein Hund,
Jungs. Und wieder aufspringen, bellen, durch tausend Jahre rasen, jeder Tag ein Tod und jede Nacht
ein Halloween, Jungs, jede Nacht, und jede Nacht ist
dunkel und beängstigend, bis ihr es schließlich geschafft hattet und euch in Städten verstecken und ein
bißchen Ruhe finden und verschnaufen konntet.
Und ihr habt angefangen, länger zu leben und
mehr Zeit zu haben und die Toten und die Angst
wegzuschieben, bis ihr nur noch einen einzigen Tag
im Jahr hattet, an dem ihr an Dämmerung und Nacht
und Frühling und Herbst und Geborenwerden und
Sterben dachtet.
Es ergibt einen Sinn. Ob vor viertausend Jahren,
vor hundert Jahren, dieses Jahr, ob hier oder woanders – das Fest ist immer dasselbe …«
»Das Fest für Samhain …«
»Die Zeit der Toten …«
»Allerheiligen …«
»Der Tag der Toten …«
»El Dia de los Muertos …«
»Allerheiligen …«
»Halloween …«
Die Jungen schickten ihre zarten Stimmen durch
alle Stockwerke der Zeit, durch alle Länder, alle
Epochen, und benannten den Festtag, der immer derselbe war.
»Gut Jungs, gut.«
Weit entfernt schlug die Rathausuhr dreiviertel
zwölf.
»Fast Mitternacht, Jungs. Halloween ist fast vorbei.«
»Aber«, schrie Tom, »was ist mit Pipkin? Wir sind
ihm durch die Geschichte gefolgt, wir haben ihn begraben und wieder ausgegraben, wir haben ihn öffentlich geehrt und bei Totenwachen um ihn geweint.
Ist er tot oder lebt er?«
»Ja!« riefen die anderen. »Haben wir ihn nun gerettet?«
»Habt ihr das?«
Downground starrte in die Ferne. Sie taten es ihm
nach und sahen über die Schlucht zu einem Gebäude,
wo gerade das Licht ausgeschaltet wurde.
»Das ist das Krankenhaus, Jungs. Aber fragt mal
bei ihm zu Hause. Das letzte Haus heute nacht. Geht
und bittet um die letzte Antwort. Mr. Marley, bitte
führen Sie die Herrschaften hinaus.«
Die Haustür flog – Peng! – auf.
Der Marley-Türklopfer reckte ihnen sein verbundenes Gesicht entgegen und pfiff ihnen nach, als die
Jungen das Treppengeländer hinunterrutschten und
hinausrannten.
Ein letzter Ruf von Downground ließ sie innehalten. »Was war das nun heute nacht, Jungs? Was
Schönes? Oder Hexerei?«
Die Jungen holten tief Luft, hielten

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