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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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Orgel schließlich verstummte, wurde gewimmert, ganz deutlich. Von oben kam es. Es war Alfred Ziegelmacher, der auf der Empore saß, die Hände noch auf den Gebläseleisten. Selbst der Witwe Stelter rutschte ein Schluchzen aus den schmalen Lippen. Niemand stand auf, als der Segen gesprochen war.
    Amen, sagte Pomreinke ein zweites Mal. Er nickte ermunternd, zwinkerte mit den Augen. „Amen, ja.“
    A b er die Gemeinde stand nicht auf. Niemand traute sich. Und ob Gott in diesem Fall zu trauen war, musste sich erst noch zeigen .
     
    Die Leipziger Frauen , Kinder und Alten brachen am 28. Oktober auf . Emil Giese hatte ausgehandelt, dass alle Familien beieinander bleiben und gemeinsam fahren würden, falls möglich mit ihren Nachbarn und Freunden. Die Pritschen auf den Lastwagen reichten nur für wenige und waren für die Ältesten reserviert . Alma kümmerte sich um Oma Mathilde , die schwach auf den Beinen war und ihr mehrmals zuflüsterte , dass sie nicht weg wollte. Alma, Heinrich und Minna halfen ihr gemeinsam auf die Ladefläche , wo Alma ihr ein Schaffell auf den Rücken band und sie in eine nach Pfefferkraut riechende Wolldecke wickelte .
    Der alte Giese saß bereits und hatte seinen Fidelkasten quer über die Knien gelegt. „Das ist das Wichtigste“, sagte er, als er seine Handschuhe anzog. „ Kind er , man muss das Leben schlank leben, ohne Ballast. Alles Wichtige muss in einen Koffer passen, dass es einen nicht aufhält. Leichtigkeit... – alles andere hat keinen Wert. Macht einen nur langsam und träge. Damals beim Japanesen...“
    Sie würden jetzt nach Galatz gebr acht, rief Emil Giese vor der Primaria, wo er sich auf eine Holzkiste gestellt hatte, um gesehen zu werden . Von dort würde es mit dem Schiff weitergehen – einem herrlichen Donaudampfer mit weißem Oberdeck wie bei vornehmen Leuten, nach Belgrad, Budapest und Wien. In Leipzig, sagte er, w ürde man sich schon bald wieder sehen. Dort sei ein Lager für die bessarabiendeutsche Landsmannschaft eingerichtet worden. In Leipzig, Sachsen. Er lachte bemüht, steckte aber niemanden an. Die Frauen sollten sich nicht sorgen; ihre Männer und Söhne kämen bald nach, ha...! – schneller als ihnen lieb wäre!
    „Was ist eine Landsmannschaft?“, fragte Lilli .
     
    Wenige Tag e vor dem Aufbruch der Männer nahmen Ziegelmacher und Emil Giese das Telefon in der Leipziger Primaria in Betr ieb. Als sie die Kabelenden auf dem Tisch des Notariats angeschlossen hatten, sahen sie sich zufrieden und zugleich etwas ratl os an – verhohlen stolz, aber un sicher, was nun mit einem so kostspieligen Apparat zu tun sei.
    „Ja, da haben wir das“, sagte Giese. Er ließ seine Fingerspitzen über die mit abgenutztem Leder bezogene Schreibtischplatte gleiten .
    Ziegelmacher sah ihn an. „Und jetzt ?“
    „Jetzt müssen wir e s wenigstens einmal benutzen, wenn e s schon da ist. Was meinst du, Ziegelmacher? Wir kön nen auf einmal die ganze Welt anrufen, hat e s geheißen. Den König von England, wenn wir wollen.“
    „Dann rufen wir einen an?“
    „Hmm. Müssen wir dann wohl.“
    Giese dachte nach.
    „Aber besser nic ht gleich den König von England “ , sagte Ziegelmacher.
    „ Der würde sich wundern... Ja – w en rufen wir denn einmal an ... ? Hat ja kein anderer ein Telefon hier in Leipzig , und die in Kulm und Anschakrak haben schon ihre Koffer gepackt oder sind längst weg. Kann man mit den Russen telefonieren?“
    „Dann rufen wir ins Reich!“, rief Ziegelmacher.
    „Und was kostet das? Gleich ein Ferngespräch? “
    „Giese – was soll uns scheren , was es kostet ? Wirklich! Ich habe eine Nummer von einem Amt.“
    „Von was für einem Amt?“
    Der Schütz blätterte durch das Installationsheft, das im Regen feucht geworden war. „Hier… hier ist eine Nummer. Sig-ma-ringen. Aha. Das kenne ich. Das ist in Süddeutschland, wo der alte König her war. Ferdinand. Der Schotten-Marie ihrer.“
    „War da nicht sogar ein Kaiser her oder was? Der Wilhelm oder einer der Preußen?“
    Ziegelmacher zuckte mit den Achseln. „Hier ist die Nummer für Deutschland... Erst die... und dann diese hier... So...“ Er steckte seinen Zeigefinger in die Löcher der schwarzen Zifferscheibe und wählte die Nummer aus dem Heft.
    Die beiden Männer sahen sich an, während die Leitung in der schwarzen Ohrmuschel zwischen ihren Köpfen rauschte und klackte.
    „Dungsstelle stadt“, sagte eine Frauenstimme leise .
    „Ja, hier!“, rief Giese. „Wir sind hier. Leipzig.

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