Braeutigame
Hallo! Fräulein? – Mensch, Ziegelmacher, das funktioniert ja wie ne Eins, das Ding! – Fräulein!? Ha-llo!?“
„…ich Sie verbinden?“
„Ja, dann haben wir das!“, rief Giese. „Funktioniert! Sehr gut! Wir kommen dann jetzt!“
„… einmal, bitte?“, flüsterte das Fräulein. „Ich verstehe Sie nicht.“
„Wir… kommen… dann… jetzt…!“, rief Giese. „Sie müssen uns nicht verbinden, Fräulein! Hallo!? Nicht weiterverbinden! Wie sind hi-ier, in Leipzig!“
„Entschuldigung“, sagte das Fräulein. „Ich kann Sie nicht verstehen. Sie kommen was? Wohin kommen Sie bitte?“
„Wir kommen jetzt… Heim… Ins… Reich! Heil Hitler, Frollein! Wir ziehen jetzt dem Russen davon! Heim ins Reich kommen wir jetzt! Gleich geht’s los!“
„... d enn ... “, sagte das Fräulein.
Es knackte in der Leitung. Sie hörten Rauschen.
„Wie eine Eins“, sagte Ziegelmacher.
Le ipzig, Sachsen, den 2 6. November 1940
Lieber Vater, lieber Heinrich,
es geht uns gut. Es geht uns gut. Wir haben alles, was wir brauchen. Wir sind wohlauf, nur Oma Mathilde ist nicht gut auf den Beinen, aber wir kümmern uns um sie, auch die Jungen. Jakob bringt ihr Butter und Honig – hier gibt es viel Honig, jeden Morgen, ganz hart ist er. Arthur sitzt bei Oma und streichelt ihr die Hand. Sonst ist es gut. Wir sind alle zusammen, auch Irma Schilling und die Gieses sind hier, wir sind alle zusammen. Wir sind vorgestern angekommen. In Wien haben wir fast eine Woche verbracht, in einer großen Kaserne. Es ist eine schöne Stadt, auch wenn wir nicht viel gesehen haben. Die aus Alt-Posttal, Gnadent al und Kulm waren auch dort. Ich habe Hedwig gesprochen. Es geht auch ihr und ihren Eltern gut, aber sie jammert viel. Sie hat einen vereiterten Zeh.
Von Wien sind wir mit dem Zug gefahren. Es war ein Schreck, als wir auf dem Pe r ron standen und der Zug einfuhr. Es war kein normaler Zug für Menschen, sondern ein Güterzug. Man konnte nur auf dem Boden sitzen, und da lagen Stroh und alter Schafmist! Es stank fürchterlich. Wir hatten nichts, wo mit wir uns erleichtern konnten, nur einen Eimer, für vierzig oder fünfzig Personen. So ging es sieben oder acht Stunden lang.
Das Schlimmste war aber die Frau aus Gnadent al. Fünfzig war sie, würde ich sagen, eine ganz Resolute, ein bisschen so wie Frau Schilling. Die hatte ihre Trompete dabei und spielte und spielte und ließ sich nicht abhalten. Wir waren alle gereizt. Ich glaube, sie war nicht richtig beieinander im Kopf , das war denen ihr Gustav . Jedenfalls flog die Trompete irgendwo zwischen Wien und Prag in hohem Bogen aus dem Zug, und sie fing das Toben an , und dann jammerte sie . Es war in den Bergen. Es lag schon Schnee, aber nur auf den Spitzen, und wenig Schnee, nicht wie bei uns.
Sonst verlief die Reise gut. In Galatz habe ich Palmen gesehen, hohe, wie in der Bibel. Wir gingen auf ein Schiff, das fuhr am nächsten Tag, als alle angekommen waren, los. Es war überhaupt nicht elegant, wie Emil Giese geprahlt hatte. E in Donaufrachtschiff, sagt Jakob – Ihr wisst ja, dass er sich immer für solche Sachen interessiert hat. Durch das Eiserne Tor sind wir gefahren, hohe, hohe Felsen, da fließt der Strom durch, und es soll sehr gefährlich sein , und wir mussten mehrere Stunden lang von einem kleinen Dampfer gezogen werden. Arthur war die ganze Zeit schlecht. Er hat ge spuckt, weil sich das Schiff bewegte und schwankte , auch nachts. Ich habe ihn ein paar Mal nach oben gebracht, und da hat er sich erleichtert. Nur einmal ging es ins Bett, so schnell kam es ihm. Er ist zu dünn.
In Belgrad hatten sie weiße Zelte für uns aufgebaut. Der Ort heißt Semlin, es war ein Durchgangslager der Volksdeutschen Mittelstelle für die Bessarabischen und noch einige andere, die aus der Dobrudscha und aus dem Buchenland kamen. Es gab wunderbares Essen, Hühner und sogar Reis. Es ging uns gut dort. Das Geschirr war immer blitzblank. N eues, weißes Porze llan aus Deutschland hatten sie, Stapel um Stapel. Wir blieben aber nur zwei Tage, und dann mussten wir wieder auf ein Schiff, ein anderes diesmal. In Semlin grüßten sich alle mit dem Hitlergruß, stramm und aufrecht. Hier ist es nicht anders. Lobgott gröhlt es hinaus, als sei er nicht mehr richtig im Kopf. Er ist gleich der Partei beigetreten.
Fra u Stelter ist bitter geworden. Es ist ihr nahe gegangen, dass sie alles hat verkaufen müs sen, sogar ihre Nähmaschine. Die war immer ihr Kostbarstes, und sie hat sie verkaufen
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