Braeutigame
Bessarabien. “
„Oh nein. Soll er etwa auch? Georg ist doch noch ei n Kind. Der ist nicht mal acht zehn Jahre.“
„Sieht so aus. Vielleicht haben sie etwas Besonderes mit ihm vor. Geht wohl nicht gleich an die Front, sondern in dieses Warthelager.“
„Mitten im Winter.“
„Hier: Ein Gepäckstück dürfen wir mitnehmen. Einberufung ... unwiderruflich … Die wollen uns in den Osten schicken, das sag e ich dir. Zu den Russen. “
„Es muss jeder an dem Ort dienen, wo er hingehört“, sagte Lobgott in der Haustür . Er zog seine Handschuhe aus, nass von geschmolzenem Schnee, und legte sie zum Trocknen auf den Ofen.
„Sie reden wieder, Lobgott…“, sagte Heinrich. „Reden, reden, reden… Und wenn e s mal um et was Richtiges geht – um große Dinge –, dann k önnen Sie nur kluge Sprüche klopfen. Ich habe e s so satt.“
„Du tust mir Unrecht, Junge. Wer soll das Land verteidigen wenn nicht die Jugend? Soll denn der Russe hier auch einmarschieren, wie er in Leipzig einmarschiert ist?“
„Sie reden einen Blödsinn. Wer ist denn bei wem einmarschiert? Hitler ist nach Russland gezogen, nicht umgekehrt. Wir stehen vor Leningrad.“
„Hätt e er e s nicht getan, wäre der Russe gekommen, fürchte ich. Angriff ist die beste V erteidigung. Du hättest deinen Clausewitz lesen sollen.“
„Unsinn. Alles Unsinn. Sie und Ihre ganze… Rechtfertigung und das alles. Als wären Sie schon einmal in den Krieg gezogen.“
„Dieser Kelch ging zum Glück an mir vorüber. Nun ist es wohl zu spät. Mit sechsundfünfzig Jahren, weißt du … Da ist alle gute Absicht vergebens.“
„Pfhh “, machte Heinrich verächtlich .
„Dem Herrn sei e s gedankt.“
„ Mut mit h und Gott mit Lob – ich kann es nicht mehr hören. Den Tag möchte ich sehen, an dem Sie mutig werden. Kein e Kinder haben Sie – nicht mal ei ne Frau. Immer nur mutig dem Namen nach… “
„Na, na… werd nicht defätistisch, Jungchen. Ihr habt auch keine Kinder. Und vergiss bitte nicht, wer dir Lesen und Schreiben beigebracht hat. “
Heinrich sah ihn wütend an. „Komm, Alma, lass uns rausgehen. Hier können wir nicht reden mit diesem…“
Sie stellte die Schüssel mit Kartoffeln auf den Tisc h und warf sich den Mantel über die Schulter.
„Da“, sagte sie zu Lobgott und zeigte auf den Tisch. „Die Kartoffeln wollen geschält werden .“
Lobgott schüttelte den Kopf. „Ich habe zu tun, liebes Kind.“
Alma seufzte. „Natürlich“, rief sie spöttisch.
„Am 19.“, sagte Heinrich. Er saß in der Stallkammer auf der Kante des Bettrahmens, den er mit Prudöhl und Georg gezimmert hatte. „Zwei Wochen noch.“
„Und Georg?“, fragte Alma.
„Weiß ich nicht.“
„Gib mir mal den Brief.“
Er reichte ihn ihr. Sie riss den Umschlag auf, zog das Schreiben heraus und las es.
„2. Februar“, sagte sie traurig. „ Dein Geburtstag. Was sollen wir machen, wenn ihr zwei weggeht?“
„Es muss irgendwie gehen. Dann m üsst ihr im Frühjahr zusammen die Saat ausbringen. Immerhin habt ihr auch zwei Esser weniger. Komm, lass uns mit deinem Vater sprechen .“
„Wo ist Georg?“, fragte Alma. „Hast du ihn gesehen.“
„Im Wald wahrscheinlich“, sagte Heinrich. „Schießen.“
Zwei Stunden vor Sonnenaufgang machten sich Alma und Heinrich am 19. Januar zu Fuß auf den Weg zum Bahnhof Kosten. In der Nacht hatte es meh rere Stunden geschneit, dann klar te der Himmel auf , und sie konnten, als sie in ihren wärmsten Sa chen vom Hof aufbrachen, Sterne sehen, die zwischen den schnell vorüberziehenden Wolken kurz leuchtete n, bevor sie wieder verdeckt wurden . Ihre Schritte knirschten im Sc hnee. Beide sagten lange nichts.
In der Nacht hatte Alma, Heinrichs Arm auf ihrer Brust, geweint. Sie war immer wieder aufgewacht. Die Furcht, den Mann, den sie liebte, zu verlieren, ließ ihre Gefühle stärker werden, als sie es bis dahin gekannt hatte. Sie hatte seinen Arm festgehalten, die Haare gestreichelt, die Handfläche und die Finger gedrückt und geküsst.
Als sie aufwachte und sich umdrehte, war Heinrich bereits aufgestanden. Er kniete in Unterh emd und Hose auf dem Boden der kalten Stallkammer und packte den Koffer, den er ins Truppenlager mitnehmen wollt e. Es war derse lbe, mit dem er aus Bessarabien gekommen war.
„N och eine Stunde , dann sind wir da“, sagte Alma, aber sie war sich nicht sicher, ob Heinrich sie verstanden hatte, weil sie ihren Schal über den Mund gebunden hatte.
„Vorne wird es hell.“
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