Braeutigame
ist das kalt hier – mach mal einer die Plane n zu! Hier zieht’s!“
„Danke“, sagte Alma. „Danke. Das werde ich tun.“
Alma stand lange an den Karteikästen. Sie ging zweimal die Einträge mit K durch, von Kaasenau bis Kyr k. Sie fand drei Krafts, zwei aus Neustettin, die Brüder sein mussten, Ferdinand und Hans, fast gleich alt ; ein dritter, Friedrich, stammte aus Bromberg. Sie suchte Heinrich in den anderen Schränken, bei der Zivilbevölkerung, bei den Flüchtlingen. Als sie fertig war, blätterte sie die Karten mit F durch, schließlich die Ps und die Ls.
Sie fand nichts.
Als sie fertig war, ging sie noch einmal zum Roten Kreuz. Sie hatte Hunger. Sie hielt eine der beiden gekochten, ungeschälten Kartoffeln, die sie in der Manteltasche trug, mit der Hand fest umschlossen und biss vorsichtig ein Stück ab, während sie noch einmal die Anschläge absuchte, an einem Teil der Holzwand, den sie noch nicht gesehen hatte: Soldatengesichter in braun-weiß und schwarz-weiß, mit hohen Schirmmützen und glattrasierten, hohlen Wangen , Rangabzeichen, Hakenkreuzen, Doppel-S . Alma zerdrückte die Kartoffel zwischen Zunge und Gaumen, spürte die raue Schale, die an der Innenseite ihrer Zähne kleben blieb , und lutschte mehr als sie kaute; sie wollte keinen der Umstehenden neidisch machen.
Jemand stieß ihr von hinten in den Rücken. Die Kartoffel fiel ihr aus der Hand auf den Boden. Sie bückte sich rasch und hob sie auf.
„Entschuldigung! Entschuldigen Sie! Ich bitte um Verzeihung. Ist Ihnen etwas heruntergefallen, Fräulein?“
„Oh. Ja... “
„Zum Glück nur eine Kartoffel.“
Alma sah den Mann an. Er hatte eine laute Stimme, trug lederne Handschuhe, Krawatte und einen Hut, unter dem sie graublaue Augen ansahen. Er roch nach Tabak.
„Alles in Ordnung?“
„Sie haben mich ... angerempelt.“ Alma untersuchte die Kartoffel und pustete und wischte den Schmu tz von der gelben Farbe, bis ihr auffiel , wie armselig das aussehen musste.
Der Mann sah sie nachdenklich an. „Tut mir leid“, sagte er. „Es w ar k eine Absicht. Ich habe Ihnen etwas in den Dreck gestoßen , fürchte ich .“
Alma nickte. „Es geht schon. Wird niemand von umkommen.“
„Nun es sen Sie das bitte nicht mehr. E s lag auf der Erde, wo hier so viele Leute mit nassen Stiefeln herumstapfen… ganz besudelt ist es. Nicht dass Sie sich et was holen . Geben Sie mir das Gemüse. Ich werf e es weg.“ Er zog ein sauberes Schnupftuch aus der Hosentasche und hielt es ihr hin.
„Aber nein!“
„Hmm. Bitte. Wie Sie wollen.“
„Ich… wir haben im Moment nicht viel. Ich mache sie später sauber .“
„Ah.. . Ich verstehe. “ Er sah prüfend an ihr hinunter, auf ihren acht Jahre alten Mantel, mit dem sie aus Leipzig und Liebfelde fortgezogen war; auf ihre ausgetretenen, schmutzigen Schuhe; auf die dicken Strickstrümpfe, die sie bis unter den Wollrock gezogen hatte. Als sie merkte , dass er ihre vernarbten Hände gesehen hatte u nd für einen Augenblick erschrak , wandte sie sich ab.
„Eine Tasse Kaffee, Fräulein?“
Sie drehte sich noch einmal zu ihm um. „Frau“, sagte sie.
„Und weiter?“
„Warum? Kraft. Alma Kraft.“
„Ein schöner Name.“
Alma lächelte. „Finden Sie?“
„Oh ja. Solide. “ Er knetete mit den Fingern die Haut unter seinem Kinn. „Was machen Sie hier? Wenn ich fragen darf.“
„Ich suche meinen Mann. Mein Mann ist noch an der Front.“
„Immer noch? Der Krieg ist doch längst vorbei, da ist nichts mehr mit Front. Geschichte schon fast.“
„Er ist… noch nicht heimgekehrt.“
„Ist er beim Russen i n eine m Lager?“
„Ich weiß es nicht. Im Osten ist er… war er zuletzt.“
Er sah ihr ins Gesicht. „Beim Russen also. Ich kann mir Schöneres denken. Schreiben Sie ihm?“
Alma schüttelte den Kopf. „Ich… weiß nicht, wo er sich aufhält . Und selbst wenn... Ich glaube nicht, dass... “
„E s tut mit leid. – Na , wie wär e es denn nun? Wollen Sie eine heiße Tasse Kaffee? Sie sehen aus, als würde er ihnen gut tun. Und wo ich Ihr schönes Essen besudelt habe...“
„N ein. Lieber nicht. Das ist sehr freundlich, aber ich kann nicht…“
„Nun haben Sie sich doch nicht so. Wann gab’s denn bei Ihnen in der Küche den letzten Kaffee?“
Alma musste lachen. „ Richtigen Kaffee?“
„Mein liebes Fräulein, natürlich nicht richtigen Kaffee. Wo denken Sie hin? Der ist reserviert für die Alliierten. Mokka faux natürlich.“
„Bitte?“
„Muckefuck.
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