Braeutigame
ucken.“
„Du darfst aber nicht. Das ist nichts für dich. – Minna? Bring Jakob raus in den Hof. Wir brauchen hier kein Geschrei. “
Ihre Schwester nickte. „Komm, Jakob, gib mir die Hand. Wir gehen zu den Ferkeln .“
Jakobs Augen leuchteten für einen Moment auf, dann kamen ihm Zwe ifel, ob er wirklich zu den Ferkeln gehen woll te, und er schlang seine Arme um den Hals der Großmutter .
„Nun aber los“, sagte Oma Mathilde . „Hörst du deine große Schwester nicht? Bist du immer noch hier ! ?“
Jakob rutschte widerwillig von ihrem Schoß, steckte die angekaut e Wurzel in seine Hosentasche und streckte Minna eine Hand entgegen.
„Kommst du mit, Alma?“, fragte Jakob.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich bleib e hier . Geht ihr mal. Ich komm e später .“
Als sie gegangen waren, hielt Alma ihr Ohr an die angelehnte Schlafzimmertür. Sie hörte Murmeln – erst Dr. Prudöhls Stimme, dann, leiser, Frau Schillings. Sie drückte vorsichtig die Klink e und schob die Tür ein Stück weit auf.
Sie sah Prudöhls Oberkörper, der sich über den Körper der Mutter beugte, unten , bei den schwieligen Füßen und den unbedeckten, weißen, haarigen Beinen . Eine blutige Schale stand auf dem Fuß boden. Auf dem Bettlaken lag di e Kälberzange. Alma hielt sich ein e Hand vor d en Mund.
Prudöhl kniete neben Frau Schilling auf dem Boden, beugte sich mit seinem breiten Kreuz nach vorn und wieder zurüc k, vor und wieder zurück – sie verstand nicht, was er machte; e twas an der Mutter, mit ihr, in ihr; sein Arm war ausgestreckt, er bewegte ihn, flüsterte der Hebamme etwas zu .
Marga Freier starrte an die Dec ke und sah Alma nicht . Sie sah überhaupt nichts. Sie lag schwitzend im Bett, laut und schnell atmend . Dann schri e sie… – verschluckte sich und hustete.
Sie holte Luft.
Sie schrie wied er.
Alma merkte nicht, wie die Zeit verging, die Sonne hinter die Hügel i m Westen Leipzigs wanderte, für eine Viertelstunde die Abenddämmerung den Himmel gelb färbte, wie Oma Mathilde die Petromax-Lampen im Haus anzündete , die Nacht anbrach . Regen kam auf – ein kurzer, heftiger Schauer, begl eitet von Blitzen weit hinter dem Kulmer Hügel, deren Donner sie in Leip zig nicht hören konnten. Die Nachbarn an der Kälber Drift liefen auf die Straße und ließen die schweren Tropfen dankbar auf ihre Hüt e und Gesichter fallen .
Später, als alle schlafen gingen, w urde es still im Unterdorf. Zikad en sangen, unterbrochen von einem anschlagenden Hund, einem unruhigen, wiehernden Pferd und von Marga Freier .
Erst nachts um kurz nach drei kam das Kind auf die Welt.
Viele Male zeigte sich ein winziger Fuß im Muttermund , der gleich wieder im Körper verschwand, als wäre ihm die Welt zu kalt.
Prudöhl stand müde in der Küche, hatte ein Glas Schnaps geleert und stopfte seine Pfeife, als die Füße plötzlich nebeneinander aus dem Leib lugten, fünf Zehen li nks, fünf rechts. Irma Schilling rief i m Schafzimmer nach ihm – und b evor Prudöhl zu ihr gekommen war, griff sie die Füße und zog das Kind entschlossen, begleitet von einem entsetzlichen Schre i der Mutter, bis zu den Knien heraus.
Es wurde ein Junge. Ein Arthur.
Zu leicht, dachte Irma Schilling, viel zu leicht, wird das gehen... wird es...?
Er war so schmierig , dass sie ihn sofort in ein trockenes Tuch wickelte, um ihn nicht aus Versehen fallen zu lassen.
„Haben wir dich Schlawiner “, sagte sie u nd wischte ihm Blut und Schmutz a us den zugekniffenen Augen, den Nasenlöchern, vom Kopf, von den Lippen und den such enden Fingern.
Der Mund bewegte sich stumm, öffnete sich, schloss sich wieder. Mit geschlossenen Augen drehte Arthur den Kopf hierhin und dahin, als suchte er etwas.
„Atmet es?“, fragte Dr. Prudöhl.
„Ich meine ja“, sagte Frau Schilling. Sie reichte dem Doktor das Kind und trennte mit einer heißen Schere die Nabelschnur durch.
Marga Freiers Leib dampfte. Sie schwitzte auf dem Bauch, auf dem Busen, am Kopf, selbst auf ihren Schienbeinen sta nden Schweißperlen. Aus ihrem Unterleib quoll B lut, das an den Innenseiten der Schenkel ablief und Laken und Tücher tränkte.
Die Mutter starrte an die Decke. Sie hob den Kopf und sah ihr Kind, das neunte, wenn sie die drei toten mitzä hlte. Den dritten Jungen, Arthur.
Dann verlor sie das Bewusstsein.
Prudöhl holte sie mit Riechsalz zurück, das Marga Freier schnauben und stöhnen ließ.
Alma hörte Irma Schillings Stimme. „Weiterp re ssen!“, befahl sie.
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