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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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„Pressen, pressen!“ Sie kniete barfuß in ihren dicken , blutbefleckten Röcken neben dem Kopf der Mutt er auf dem Bett und hielt ihr e Hand. „Du musst pressen, Ki nd. Du weißt doch, wie es geht. “
    Die Mutter presste, stumm; sie schrie nicht mehr.
    „Press, Marga!“, rief Irma Schilling.
    Aber Marga Freier schien sie nicht zu hören. Ihre Auge n starrten an die Decke, irr, leer.
    „Press, Marga !“
    Sie presste nicht.
    „Press, Marga !“
    Die Mutter holte tief Luft. I hr Körper spannte sich an. Arme und Hände zitterten, die Beine, die Brüste, als würde sich ihr ganzer Leib verkrampfen . Blut spritzte aufs Laken, auf den Boden.
    Dann war es vorbei, ohne Vorwarnung, von einem Moment auf den anderen.
    Arthur schrie.
    Marga Freier schrie
    Ein Anfang.
    Ein Ende.
    A men.

Kapitel 3: Eiskeller
     
    Vier Tage zuvor hatten Daniel Freier und Mischka zwei Wallache vor den Kastenwagen gespannt und sich auf den Weg in die Hauptstadt mit ihren grünen Kale schen, Boulevards, The atern und Kaufmannshäusern gemacht: Kischinjew. Einhunderttausend Seelen lebten dort , sagte Hellmuth Lobgott; Seifenwerke, Petroleumlager und Werkzeugfabriken gäbe es, mehr als einhundert Automobile und ein Gefängnis mit Gittern vor den Fenstern und Mördern und Wegelagerern und anderem Abschaum dahinter . A ber das war nur Lobgotts gelehrtes G erede bei Tisch – schmatzend, den Kopf tief über den Teller gebeugt vorgetragen – das Mischka, der fünfundzwanzig und vernünftig war und zum ersten Mal nach Kischinjew fuhr, nicht ernst nahm. Er wollte die tollen Geschic hten erst glauben, wenn er Bessarabi ens Prachtstadt mit eigenen Augen gesehen hä tte.
    Was sein Vermögen betraf, war Daniel Freier nicht so gut gestellt wie Emil Giese, Leipzigs Primar, der einflussreichste Mann im Dorf und der lauteste, wenn er zu viel getrunken hatte. Do ch er hatte im Laufe der Jahre Acker für Acker auf den Hügeln gekauft und bewirts chaftete mehr als dreihundert fünfzig Dessjati nen – worüber er mit niemandem sprach, hieß es doch, das s eher ein Kamel und so weiter. Wer Sorgen genug hatte, dachte Freier, brauchte den Neid der Nachbarn nicht.
    Nur er selbst wusste also, woher die rot en Tonziegel auf seinem Hausdach kamen: aus Marseille , wo sie nach Konstantinopel und weiter nach Odessa verschifft worden waren. Er hatte niemandem davon erz ählt, nicht einmal seiner Frau – vor allem nicht der. Es wäre zu unangenehm gewesen, als reicher Mann zu gelten, Bettler anzulocken und Margas Palaver an hören zu müssen ; die Frau war sparsam wie die Sichel des abnehmenden Mondes . Sie hätte ihm Verschwendung vorgeworfen, ein Gedächtnis wie ein Pferd hatte sie, die vergaß nichts, nicht einmal Unwichtiges – nicht einmal Dinge, die nie geschehen waren, die in ihrem Kopf ein Eigenleben führten wie Disteln auf dem Feld, unausrottbar. Ein Dach aus französis chen Ziegeln würde ihn bis ans Ende seiner Tage verfolgen. Also hatte er entschieden, dass sie nie davon e rfahren würde. Man musste, fand Freier, praktisch denken.
    Sie brauchten eineinhalb Tage für die F ahrt nach Kischinjew. Die warme Nacht verbrachten sie unter der Le derplane des Wagens, auf dess en Ladefläche nur ihre Prov iantranzen, ein leeres Essigfass und Säcke mit Futter für die Pferde lagen . Es blieb genug Platz zum Schlafen.
    Gleich nach ihrer Ankunft ging Freier aufs Katasteramt und füllte mit einem der Sekretäre, einem schweigsamen Juden aus Siebenbürgen, die Papiere aus, legte die Kupscha vor und machte einen Termin für den nächsten Tag, an dem er mit Hilfe des Notarius de n Eintrag ins Grundbuch durchführte und die Landgebühr entrichte te. Der Mann machte seine Arbeit zügig und ehrlich, ohne, wie Freier es von vorigen Besuchen kannte, mit schlecht gespielten Andeutungen ein Handgeld zu fordern. Freier lud ihn erleichtert zu einem Glas in eine Gaststätte in der Al tstadt ein – hätte ihm sogar ein warmes Mittagessen bezahlt –, aber der Beamte klopfte mit langen Finger nägel n auf den Dokumentenstapel in seinem dunklen, nach Ta bak und Leder riechenden Kontor: Er hätte noch reichlich zu tun, man sähe sich, v ielleicht dann ja im nächsten Jahr.
    Am 12. war die Landsache erled igt, und Freier und Mischka kümmer ten sich um die Einkäufe. Sie hatten eine Liste mit Dingen dabei, die Leipzigs Krämer nicht verkauften oder nur zu Preis en, die Margas nachtragenden Spott herausforderten . Freier war froh, dass Mischka bei den Besorgungen im Händlerviertel

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