Braeutigame
Christian Prudöhl, von dem ich seit dem Krieg, als er mit dem Vater und mit Lobgott nach Schlesien zog, nie wieder etwas gehört hatte.
Am Abend, als wir mit einigen wenigen Gästen (auch Minna und Lilli) im Haus in Altona waren und zusammensaßen, klingelte es an der Tür, und Rosina – die grinste breit, denn sie war, glaube ich, eingeweiht – führte einen alten Herrn herein. Ich er kannte ihn nicht – mit Krawatte und Hut, einem vollen, grauen Bart und einer Hornbrille und tiefen Falten auf d er Stirn. Und doch war es unser Dr. Prudöhl, den Konrad aus Süddeutschland mit der Eisenbahn herbeigeschafft hatte, wo er ihn in den Wochen vor der Hochzeit gesucht und irgendwie gefunden hatte! Er lebt nun in Stuttgart, und er weinte, und auch Minna und Lilli waren gerührt & ich natürlich auch. Es war eine so große Freude. Lobgott ist nicht mehr, das sagte er gleich, und es hat uns nicht überrascht, wo wir doch nicht mehr damit gerechnet hatten, irgendjemanden wiederzusehen. Wir haben so lange geredet, dass wir alle anderen Gäste sicher gelangweilt haben. Sie haben nicht verstanden, was es heißt. E s war zu schön. Prudöhl ist jetzt über sechzig und sieht viel älter aus , er geht gebückt wie ein Greis . Der Krieg ist auch zu ihm nicht gut gewesen. Aber immerhin: Er lebt. Es war das schönste Geschenk.
7. April 1950
Mein lieber Heinrich,
es fällt mir schwer, über diese Dinge zu sprechen – zu schreiben –, aber es ist doch gut, die Gedanken festzuhalten und in Ordnung zu bringen. Niemand liest, was ich aufzeichne , und gerade aus diesem Grund hilft es mir, so hoffe ich.
Es ist manchmal eine Prüfung, mit Konrad zu sein. Wenn wir in der Nacht beieinander liegen, erinnert es mich an so vieles, dass es ein Grauen ist für mich. Böse Gedanken kommen über mich, und ich kann mich nicht öffnen. Ic h merke, wie enttäuscht er ist und wie er bitter wird. Du weißt, wie es geht mit den Männern. Er liegt dann auf dem Rücken und raucht stumm. Das Zarte, Liebliche ist ihm nicht gegeben. Wir küssen uns, nun: Wir sind Frau und Mann. Aber es ist eigen artig . Wenn er mich küsst, ist es so nass , dass es mich ekelt, und er riecht schrecklich nach Tabak, und ich muss danach die Lippen mit dem Handrücken abwischen.
Ich weiß, dass Konrad Kinder will. Seine erste Frau konnte ihm keine schenken, und es möchte doch jeder Mann einen Stammhalter in die Welt setzen, es ist die natürlichste Sache. Nun kommt er oft zu mir – viel öfter, als mir lieb ist, fast jede Nacht und in mancher Nacht mehr als einmal. Und wenn er davor get runken hat, ist es für mich unerträglich. Es tut sehr weh, im Leib und auch, obwohl er mein Mann ist, ein wenig im Herzen. Ich weiß nicht, was ich tun soll & bin so froh, wenigstens meine eigene Kammer zu habe n, wo ich sitzen kann , wenn es nicht anders geht. Ich gehe dann ins Badezimmer und schließe die Tür hinter mir ab .
Manchmal wird er bösartig und verletzend. Es ist eigentlich nicht seine Art, aber auch er trägt Sorgen in sich, wie jeder Mensch, da bricht es manchmal heraus aus ihm. Mit vierzig, hat er jetzt gesagt, sind alle Frauen nicht mehr schön. ‚Ist jetzt bald so weit’, sagte er, und dass ich mich abfinden müsste und er sich auch . Ich verstand erst gar nicht, was er meinte, und späte r, als ich es verstand, war ich verletzt. So hatte ich noch nie über Schönheit gedacht. Er ist ja ein weltläufiger Mann & reich & weit gereist. Vielleicht ist es das.
Wir müssen es versuchen. Es gibt kein Zurück.
1951
Lieber Heinrich,
ich habe lange nicht geschrieben. Es gab viel zu tun, wir haben nun ein neues Leben. Denke aber nicht, ich hätte Dich vergessen in meinem Herzen & nicht a n Dich gedacht. Es ist nicht so. Du bist immer bei mir.
Das Kind und ich leben nun lange in Hamburg bei Konrad. So ist der Lauf der Dinge, Du weißt es ja. Man heiratet, um zusammen zu sein. Für das Kind haben wir eine Dachstube neu hergerichtet, mit einem Erker, der nach hinten auf den Garten geht. Es ist ein schöner Ort, aber das Kind ist noch zu klein & es hat keinerlei Gespür für diese Dinge, für das Schöne in der Natur. In wenigen Tagen, wenn der Sommer endlich vorbei ist, geht die Schule los. Das Kind kann schon einiges (Buchstaben und seinen Namen). Wir haben Rosina hier und Herrn Krause, und wenn es viel zu tun gibt wie jetzt im Sommer, kommen weitere Leute und helfen im Garten und im Haus.
Im Dorf sagten die Alten – Isidor Giese und unsere
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