Braeutigame
lassen. Bei Mutter Krause ist er gut aufgehoben.
Wir hätten fliegen können – Konrad sagte, es wäre machbar. Aber ich denke, es war richtig so. Jetzt, wo ich das erste Mal nach Amerika fahre (nach Über see!), in dieses große Land, möchte ich es mit dem Schiff tun, langsam und gefahrlos. Es ist eine weite Reise, ein anderer Kontinent! Ich bin aufgeregt. In Europa habe ich mit Konrad einiges gesehen – Italien ist sein Lieblingsland, Venedig, Florenz, Rom, die herrliche Insel Capri. Aber es war immer mit dem Zug und einmal mit dem Wagen, ein weiter Weg für Krause.
Als wir während des Ablegens an Deck an der Reling standen, ging ein frischer Wind. Unsere Rö cke und Kleider wehten, und zwei junge Burschen a uf dem Kai lachten, als sie sahen, was der Wind mit unseren Kleidern mach te . Sie sahen vermutlich die Unterröcke, so wie sie sich ger ier ten. Eine Sirene heulte . Es musste irgendwo brennen, obwohl man nichts sah.
Minna ist toll. Sie bat Rosina, ih r die nackten Füße zu massieren, weil sie wund waren vom Reisen, und ihr die Pediküre zu machen. „So weit kommt es noch“, sagte Rosina und ließ alles stehen und liegen und lief beleidigt in ihre Kabine. Kali und ich haben uns angesehen , und wir mussten beide schrecklich lachen, dass es mir peinlich war. Minna redete den ganzen Abend nicht mit uns. Immerhin entließ sie Rosina nicht.
8. August 1966, TS Hanseatic (Montag)
Auf dem Schiff ist eine alte Dame, siebzig vielleicht. Sie lebt in New York, in dem zentralen Teil (Manhat tan), fährt also nach Hause. Sie hat beschlossen, ihr Leben im Sommer zu verbringen – nur im Sommer. Das ganze Jahr hindurch pendelt sie von einer Hälfte der Welt in die andere . Von Mai bis September ist sie in Frankreich und Nordamerika, und im Oktober nimmt sie ein Schiff nach Brasilie n. Sie verbringt viel Zeit auf Liniens chiffen & und ist hier auf unserem so etwas wie ein e Bekanntheit. Die Kellner und Zimmerm ädchen sind alle ausgesucht nett zu ihr. Sie kennen sie von früheren Reisen. Wir haben über Musik gesprochen. Sie liebt Oper & sie reist immer mit ihrem eigenen Grammofon, ein Stück aus den dreißiger Jahren, das schrecklich kratzt und rauscht. Sie spielt selbst Harfe.
Die Überfahrt dauert sechs Tage. Man isst sehr anspruchsvoll und reichhaltig hier. Wo sie all die Köstlichkeiten hernehmen, weiß ich nicht. Sie müssen große Schränke und Kühlräume haben. Es gibt viel Fleisch & Fisch & jedesmal eine Suppe vor dem Hauptgang. Die Leute hier (wir reisen in der guten Klasse & essen getrennt von den unteren Kabinen) reißen sich um die Störeier, die sie auf gekochten Eiern und auf hellem Brot bringen. Sie nennen sie hier Kaviar , auch Rosina und Konrad. Es klingt merkwürdig , dabei sind es nur einfache Eier vom Sterlet, grau und schleimig. Es ist nicht, dass ich sie nicht mögen würde, sie schmecken mir. Aber die Aufregung, die einige (vor allem die Frauen! ) deswegen machen, ist mir ungeheuer. Fischeier sollen sehr t euer geworden sein, während wir sie damals wegwarfen. Für die Schweine, sagte meine Mutter immer . Kali, die das Herz am rechten Fleck hat, war angewidert von ihnen und weigerte sich, sie zu probieren.
Ich habe ein Buch von Theodor Fontane dabei, „Stechlin“ der Titel , es ist ein See in Preußen. Oben auf dem Deck sitze ich damit auf einem Liegestuhl, in zwei warme Decken gehüllt wg. des Windes . Es gefällt mir & erinnert mich an die alte n Zeit en & es steckt viel Wahres darin. „Große Zeit ist es immer nur, wenn’s beinah schief geht, wenn man jeden Augenblick fürchten muss: ‚Jetzt ist alles vorbei.‘ Da zeigt es sich. Courage ist gut, aber Ausdauer ist besser. Ausdauer, das ist die Hauptsache.“ Ist das nicht wahr? Die außerordentlichsten Menschen sind die, die immer auf Messers Schneide leben.
Sie haben einen kleinen Theatersaal auf dem Schiff, für vierzig oder fünfzig Menschen. „Vom Winde verweht“ habe ich noch einmal gesehen. Gester n haben sie dort aber einen durch und durch schrecklichen Film gezeigt. Ich ging mit Kali und Minna – und musste mittendrin hinaus. In was für einer Welt leben wir nur? Es war wieder ein amerikanischer Film, mit furchtbarer Musik, sch räg und unmelodisch, und widerlich e Vögel flogen überall & griffen Menschen an, Frauen und Schulkinder . Kali hat es gefallen. Sie ist ein junges Ding und noch sehr dumm. Wir spiel en auch Canasta zu viert, in dem Salon, in dem nach dem Essen geraucht wird , wg. Minna .
In der Nacht
Weitere Kostenlose Bücher