Braeutigame
Natürlich war man nett zu ihr, und natürlich dachte man sich wegen der Haare seinen Teil, und es half nicht, dass sie den Vornamen trug, den sie trug.
„Staub z u Staub“, sagte Pomreinke. Er sah aus dem Fenster auf die Kälber Drift.
Pomreinkes Gespräch mit Freier dauerte nicht lange. Am Tag darauf würde man Margarete Freier beerdigen, um vier Uhr nachmittags, so Gott wollte , abgemacht . Sie wählten Lieder und Bibeltext aus.
„ Lass uns beten, Bruder “ , sagte Pomreinke unvermittelt und kniff im Sitzen die Augen zu.
Als Freier wieder aufschaute, segnete der Pastor ihn murmelnd mit erhobener Hand, der Herr lasse… über dir… gnädig... –
Pomreinke stand aus dem Sessel auf und trank den letzten Schluck Tee aus seiner Tasse. „Wirst seh e n, Freie r“, sagte er, „die Zeit und Gott heilen alle Wunden.“
„Wollen wir e s hoffen.“
„ Und beten wolle n wir dafür.“
„Amen.“
„E s i st ja woh l noch zu früh…“
„Für was?“
„Na, nu, wenn der Schmerz erst mal weg geht, geht das Leben wohl weiter. Du b ist doch noch jung, Freier, und gesund, und Land hast. Da werden die Weiber schon schauen wollen. Die kommen ganz von alleine. Wart es ab. “
Obwohl es ein Sommertag war und der Trauergottesdienst für Marga rete Fre ier am Nachmittag stattfand, ließ Pomreinke die Kronleucht er im Kirchenschiff anzünden. Mehr als einhundert Leipziger saßen schwitzend neben ihm in den Bänken, feierlich, mit ernsten Gesichtern, schweigend , matt.
Sie trugen Sonntagsstaat, die Männer ihre besten Hemdkragen und wollene Anzüge mit Westen, die Frauen schwarze Kleider, die in mehreren L agen vom Hals bis zu den Knöcheln reichten. Es war heiß, schon ohne die vielen Kerzen, aber Pomreinke bestand darauf, des ernsten Anlasses wegen, zur Ehre der Toten. Wachs tropfte von den Deckenleuchtern auf den Steinboden zwischen den Kirchenbänken. Elwira Dressner wedelte sich mit einem Fächer Luft ins Gesicht.
Die Freiers, Mischka, Hedwig und die verschwägerten Jeschkes füllten die ersten beiden Reihen. Pomreinke nickte ihnen zu, als er im Talar vor den Altar trat und mit der aufgeschlagenen Bibel in der Hand „liebe Trauergemeinde“ sagte und das erste Lied, Sterben ist mein Gewinn , ankündigte, man sä nge für die Tote alle neun Strophen. Daniel Freie r saß zwischen seinen Kindern. Oma Mathilde hatte sich mit Arthur im Arm auf der anderen Seite d es Mittelgangs zu den Jeschke-Angehörigen gesetzt, zu Margas Schwester Else und ihrem Bruder Paul, der am Vorabend mit seinen Jungen aus Gnadent al gekommen war. Else umklammerte mit den Händen ein zerknülltes Taschentuch, in das sie sich schnäuzte.
Die fromme Witwe Stelter aus der Kälber Drift – Marga Freier hatte sich mit ihr ein Leben lang wegen des Saustalls gezankt , der angeblich di e trocknende Wäsche nebenan vermiefte – trug einen Augenschleier an ihrem Hut und gähnte in die schwarze Spitze. Ihr für die Beerdigung gestärkter Unterrock war so steif, dass sie i hr Kleid mehrmals nach unten kni cken musste, um die Schenkel nicht zu entblößen. Emil Giese und seine Frau Walburga saßen neben Dr. Prudöhl, der dunkle Augenringe hatte. Chaim vom Ring und seine Frau Wilma hatten in einer der hinteren Reihen Platz genommen, die reicheren Leipziger – allen voran der drahtige Samuel Trautmann von der Mühle an der Lehmkuhle, dem seit einem Unfall ein Fuß und eine Wade fehlten – weiter vorn, gleich hinter den Angehörigen, bei den Dressners. Dort saß auch Irma Schilling mit ihrem verrückten Gustav, und neben dem hatte wiederum Hilli Turm Platz genommen, die bei Küsterlehrer Lobgott das Haus bestellte . Hilli hatte blonde Locken, die unter ihrem karierten Kopftuch hervorlugten, und ein hübsches Gesicht mit schnellen, hellgrauen Augen. Sie wäre eine gute Partie gewesen, wäre sie nicht taubstumm auf die Welt gekommen. Was nichts daran änderte, dass Hilli Turm alle Choräle mitsang – mitbrummte, es ging nicht anders –, wobei sie immer zu spät merkte, dass Lobgotts Orgel nicht mehr brauste und die anderen die Gesangbücher wieder geschlossen hatten. Aber das kannte man ; Hilli Turm hörte immer als Letzte zu sing en auf.
Sogar aus Anschakrak waren Trauergäste gekommen, bulgarische und russische Händler, mit denen Freier zu tun hatte, in abgetragenen, zu engen Anzügen . Srul Turkenitsch, der Armenier, der mit Karren und Glocke durch die Gegend zog und auf den Dörfern Werkzeuge und Kurzwaren verkaufte, strich sich
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