Braeutigame
Sie versuchte, seinem Blick zu folgen, sah aber nur ein paar Schleierwolken. Ei nige Vögel flogen über den Baumspitzen auf der anderen Seite des Kogälniks. Sonst nichts.
Die Kinder im Wasser hörten auf zu spielen und spritzen. Jakob und Lilli standen mit einigen anderen zusammen und sahen in den Himmel. Selbst Minna war still.
Jetzt hörte Alma etwas… – ein Dröhnen, weit weg.
Jakob stand im Wasser und zeigte mit dem Finger in den Himmel. Alma folgte mit den Augen seiner Hand: ein dunkler Fleck . Das Geräusc h wurde lauter . Sie sah auf der Weide die Tabon mit den Stuten und Fohlen im Kreis galoppieren und Staub aufwirbeln.
Die Propellerm aschine, grau und grün g estrichen, flog fast genau über sie hinweg. Dann fiel das Dröhnen der Motoren wieder a b, als sie über das Unterdorf z og und zu den Hügeln im Norden abdrehte. Alle sahen ihr nach, auch Minna und Attila, Reinhold in seinem Boot, Heinrich. A ls der Fleck am Horizont verschwand und kaum noch zu sehen war, liefen die Kinder im Kogälnik nackt ans Ufer und schrien aufgeregt durcheinander.
Arthur wachte au f. Er kratzte sich an der Wade, wo ihn etwas gebissen hatte.
„Wie fliegt das?“, fragte Jakob, der aus dem Wasser zu Alma gelaufen kam .
„Ich weiß nicht“, sagte sie. „Müssen wir Vater fragen. Wie das nu n geht, dass es oben in der Luft bleibt…“
„Da sitzt einer drin und steuert .“
„ Ja. Wird wohl ein Mensch drin sein, wie in einem Auto.“
„E in Engel“, sagte Lilli.
Alma wischte sich das lose Gras von den Beinen und stand auf. Auf der Böschung zwischen Fluss und Tabon saß noch immer der alte Giese, der sich auf seinen Stock stützte und dem Flugzeug hinterhersah. Sie ging zu ihm hin.
Isidor Gie se sah sie an. Seine Augen, rot, entzündet, tränten.
„Was war das, Opa Giese?“
Er hustete. „Ein Flugzeug“, sagte er. „Was denn wohl sonst? Hast du doch sicher schon ein mal gehört, dass die Menschen lange fliegen können wie die Vögel.“
„W o kommt das her?“
„Tja.“ Giese zog die Mundwinkel nach unten und sah auf den Boden. „Wenn ich das so genau wüsste.“
„Das war eine russische Maschine“, rief Reinhold , der ans Ufer gerudert war . „Ich bin mal mit meinem Vater in Kiew gewesen, da haben wir Flugzeuge gesehen, viele auf einmal, die standen alle auf einem Feld. Die sahen genauso aus, auf den Flügeln diese Dreh… dings …blätter und hinten drauf dieser Aufsatz…“
„Nee, mein Junge“, sagte Opa Giese und schüttelte den Kopf.
„Nicht?“, fragte Reinhold. „Klar war die von den Russen. Wo soll die sonst herkommen?“
„Das war eine deutsche Maschine.“
Reinhold sah ihn überrascht a n, wagte aber nicht zu widersprechen. „Was soll die hier machen ? Aus Deutschland? “
Giese schüttelte seinen Kopf abwägend hin und her. Er wischte sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
„Und wozu ist das gut, ein Flugzeug?“, rief Minna . Sie hatte Attila Pahls Hut auf dem Kopf und nasse Beine.
„Oh“, sagte Opa Giese. Seine Augen suchten den Himmel ab. „Für vieles. Vieles.“
Die Freier-Kinder blieben bis zum Abend am Kogälnik. Als es kühler wurde, tanzten Mücken in dichten Schwärmen am Ufer. D ie letzten Libellen und die ersten Glühwürmchen flogen – in gerader Linie die einen, schlingernd die anderen – durch die Köpfe des Schilfrohrs . Die Geschwister zogen sich an und machten sich auf den Heimweg. Alma trug Arthur, der müde war, auf dem Rücken, damit sie schnell nach Hause kamen. Lilli und Minna hielten sich an den Händen und liefen barfuß neben ihr. Jakob, der ihren Vater nach dem Flugzeug fragen wollte, fuhr mit dem Ra d voraus a n die Kälber Drift und klingelte dabei ununterbrochen.
Zuhause setzte Alma sich mit Arthur auf ei ne der beiden Bänke vor der Gartenmauer . Minna kochte gemeinsam mit Hedwig, die am Nachmittag aus Kulm zurückgekehrt war, in der Sommerküche. Alma würde dafür den Abwasch übernehmen, bevor sie ins Bett ging. Nebenan ging die Witwe Stelter im Kittel durch ihre Beete und winkte ihr mit einer Hand zu, in der sie ein paar frisch gezogene Mohrrüben hielt, an denen E rde klebte. Alma hatte den Handarbeitskorb mit der Strickliesel und dem Stick ring mitgenommen, ihn aber beiseite gestellt.
Mit Arthur auf dem Schoß sa ng sie das Storchenlied.
Storch Storch Schniebelschnabel
flieg über Bäckers Haus
Arthur lachte und winkte mit seinen Händen , als würde er dirigieren .
Bring mir eins, dir
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