Bragg 04 - Dunkles Verlangen
streifte es sich über.
»Willst du etwa gehen?«
»Ich bin sehr müde«, sagte er und ging zur Tür.
Amelia folgte ihm. »Dann suche ich mir eben einen neuen Liebhaber!«
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Doch sie bekam davon nichts mit. Denn er würdigte sie keines weiteren Blickes. »Du hast doch ohnehin andere Liebhaber, Amelia«, sagte er und trat in die Nacht hinaus. Dann ging er zu seiner Kutsche, ohne sich auch nur einmal nach ihr umzudrehen.
Auch jetzt beherrschte Jane wieder alle seine Gedanken. Er hatte Angst. Es gefiel ihm gar nicht, dass er unentwegt nur an sie dachte, und er war sich nicht mehr sicher, ob er die Kraft aufbringen würde, sich von ihr fern zu halten. Er hatte sie schon einmal verletzt, ob er es wieder tun würde? Ob sie ihm je verzeihen würde, was er ihr angetan hatte? Und sollte sie es tun: Würde das überhaupt etwas ändern?
Als er dann zu Hause die Treppe hinaufging, empfand er sehr deutlich, dass er ihr immer näher kam. Er blieb im ersten Stock auf dem Treppenpodest stehen. Ein Stück weiter am Ende des Flurs lag ihr Zimmer. Sicher war sie schon im Bett und schlief. Er war sich ganz sicher, hegte nicht den geringsten Zweifel. Heute war sie nicht mit einem ihrer Liebhaber unterwegs.
Nick blieb vor ihrer Tür stehen und öffnete sie dann. Leise durchquerte er ihr Wohnzimmer und trat in ihr Schlafzimmer.
Durch die offenen Fenster drang das Mondlicht herein. Ein leichter Windhauch bewegte die Gardinen und die Vorhänge an ihrem Himmelbett. In dem Zimmer duftete es nach Lilien. Sie lag auf der Seite und schlief, zusammengerollt wie ein Kind.
Er brachte es einfach nicht fertig, an der Tür stehen zu bleiben, und trat näher.
Sie lag da wie ein schlafender Engel – sein schlafender Engel, seine Frau.
Seine Frau, die er aufs Gemeinste verletzt und gequält hatte. Wieder ergriff jener Urschmerz von ihm Besitz, und er konnte kaum mehr atmen. In seinen Augen standen heiße Tränen, und er verspürte so stark wie seit seiner Kindheit nicht mehr den Drang zu weinen.
»Es tut mir ja so leid, Jane«, flüsterte er.
Sie lag ganz still da. Wie von selbst berührte seine Hand ihr Haar und vergrub sich dann in der Pracht ihrer Locken, ruhte zärtlich auf ihrem Kopf. Sie seufzte.
»Verzeih mir«, flüsterte er und kniete neben ihr nieder. Er sah ihr direkt ins Gesicht »Entschuldige, Jane. Kannst du mir je vergeben?«
Er erhielt keine Antwort. Hatte er etwas anderes erwartet?
»Ich liebe dich«, hörte er sich selbst sagen und war kein bisschen erstaunt über dieses Geständnis.
»Jane, ich liebe dich«, flüsterte er heiser.
Und dann stand er auf und ging wieder hinaus.
Kapitel 40
Jane wachte unglücklich auf.
Es war noch früh, noch nicht einmal acht Uhr, aber sie konnte nicht länger im Bett bleiben, obwohl sie erst um kurz nach drei eingeschlafen war. Und da war er immer noch nicht zu Hause gewesen. Auch als sie sich ankleidete, hielt ihre traurige Stimmung an. Obwohl er erst gestern Nachmittag mit ihr geschlafen hatte, war er abends und nachts bei einer seiner Mätressen gewesen. Der Gedanke, dass er mit Amelia geschlafen hatte, war schier unerträglich.
Ihre Stimmung wurde noch zusätzlich durch die grauenhaften Szenen getrübt, die sich am Vorabend nach der Vorstellung vor ihrer Garderobe abgespielt hatten.
Jane erwartete, ihn im Esszimmer am Frühstückstisch anzutreffen, und sie wurde nicht enttäuscht. An diesem Morgen blickte er ihr mit zusammengekniffenen Augen entgegen. Chad, der mit dem Frühstück fast fertig war, begrüßte sie fröhlich. »Guten Morgen«, sagte sie zu dem jungen, tätschelte ihm im Vorbeigehen das Haar und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er sah sie strahlend an.
Sie merkte ganz deutlich, dass der Earl sie beobachtete. Jane war entsetzt, als sie die Ringe unter seinen Augen entdeckte. Er sah genauso müde aus, wie sie sich fühlte, und sie hatte plötzlich Mitleid mit ihm. Doch dann rief sie sich wieder in Erinnerung, dass er in der vergangenen Nacht erst sehr, sehr spät nach Hause gekommen war. Deshalb beließ sie es bei einer kurzen Umarmung ihrer kleinen Tochter und setzte sich dann.
»Guten Morgen«, sagte der Earl.
»Guten Morgen«, entgegnete Jane genauso höflich. Die beiden sahen sich vorsichtig an, blickten aber fast sofort wieder weg.
Nicole rührte mit einem Stück Toast in einem Steingefäß und war bis zu den Ellbogen mit Erdbeermarmelade beschmiert. Jane wandte sich ihrer kleinen Tochter zu, um Schlimmeres zu
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