Bragg 04 - Dunkles Verlangen
es mir wenigstens vorher sagen können. Dann hätten wir uns überlegen können, wie wir uns verhalten. Oder steckt etwa eine Absicht dahinter?«
»Nicole ist meine Tochter. Warum sollte ich sie vor der Welt verbergen? Ich fahre mit ihr spazieren, wann immer ich Lust dazu habe.«
»Dieser Skandal ist das Ende meiner Karriere. Das wird man mir nie vergessen!«
Auch der Earl war jetzt aufgestanden. »Und was sollen wir deiner Ansicht nach tun? Uns ständig verstecken? So wie du es getan hast?«
»Ja«, schrie Jane, jetzt völlig außer sich. »Wenn es dir schon egal ist, dass man mich öffentlich demütigt« – sie sah plötzlich Amelia vor sich –, »dann solltest du wenigstens an deine Tochter denken.«
»Ich denke durchaus an meine Tochter!«, brüllte der Earl. »Ich will verflucht sein, wenn ich nicht dafür sorge, dass sie in dieser verdammten Gesellschaft den ihr gebührenden Platz erhält. Ich habe es nämlich nur ihretwegen getan, das kannst du mir glauben.«
»Ja.« Jane klang bitter. »An Nicole denkst du – aber nicht an mich.«
»Nicole ist meine Tochter. Es ist mein gutes Recht, mich dazu öffentlich zu bekennen.«
»Und mein Leben zu zerstören. Aber das ist dir ja egal. Ich war dir ja schon immer egal.«
Er sah sie verblüfft an. »Die ganze Geschichte ist bald vergessen. Sonst können sie uns ja nichts anhängen.«
»Vergessen«, sagte sie grimmig und mit hochrotem Kopf.
»Das kannst du leicht sagen. Du hast darunter ja nicht zu leiden.«
Er machte eine unwillige Kopfbewegung. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst?«
Jane kam allmählich wieder zur Vernunft. Natürlich war der Skandal für ihn mindestens so gefährlich wie für sie, vielleicht sogar noch gefährlicher. Schließlich war er ihr Vormund. Natürlich wurde ihm ihr Fehltritt in der Öffentlichkeit ebenso angelastet wie ihr selbst. ja, man konnte ihm womöglich sogar den Prozess machen, weil er seine unmündige Schutzbefohlene verführt hatte.
»Ich hätte dich niemals heiraten sollen. Verdammt, ich habe wieder nur an mich gedacht. Ich wollte unbedingt Nicole. Wie gedankenlos von mir.«
Das saß. Das Eingeständnis, dass es ihm nur um seine Tochter gegangen war. Er drehte sich um und entfernte sich ein paar Schritte von dem Tisch, machte sich offenbar heftigste Vorwürfe. Plötzlich bedauerte sie zutiefst, dass sie ihn so massiv angegriffen hatte, auch wenn es ihr wehtat, sich einzugestehen, dass ihm an ihr nichts und an Nicole alles gelegen war. Ihr wurde bewusst, wie sehr ihm in den vergangenen sechs Jahren all die Verdächtigungen und Unterstellungen zugesetzt haben mussten. Sie war mit wenigen Schritten bei ihm. »Egoistisch bist nicht du, sondern ich. Ich komme mit der Situation schon zurecht. Du hast völlig Recht. So etwas ist bald vergessen.«
Er drehte sich um, sah sie höhnisch an. »Was? Hast du plötzlich deine Meinung geändert?«
Sie sah ihn fest an – voll Mitgefühl –, hätte ihn am liebsten in die Arme genommen.
Er sah sie wütend an. »Hör auf, mich zu bemitleiden!«
»Wie kommst du darauf?«
Aber es war schon zu spät. Er marschierte bereits mit mächtigen Schritten zornig aus dem Zimmer und warf die Tür donnernd hinter sich zu.
Kapitel 41
Der Earl war entschlossen, auszugehen.
Er betrachtete sich im Spiegel. Er trug ein schneeweißes Hemd und eine silberfarbene Brokatweste und war gerade damit beschäftigt, seine schwarze Schleife zu binden. Als er damit fertig war, schlüpfte er in seinen Frackrock. Seit Beginn des Skandals waren jetzt zwei Tage verstrichen, drei Tage, seit er mit seiner Frau geschlafen hatte. Die beiden waren sich seit ihrem Streit aus dem Weg gegangen. Er war ihr lediglich beim Kommen und Gehen ein paar Mal auf dem Korridor begegnet. Zum Frühstück war sie seither nicht mehr erschienen.
Eigentlich hätte er ja froh sein müssen. Er war es aber nicht. Er war verärgert, vielleicht sogar depressiv.
Er hatte seine eigenen Kontakte, deshalb wusste er, dass das Theater jeden Abend bis auf den letzten Platz ausverkauft war, seit Jane und er geheiratet hatten. Er zweifelte nicht daran, dass Jane mit ihrer Beurteilung völlig Recht hatte: Die Leute strömte jetzt herbei, um sie – den gefallenen Engel – zu sehen, um die Frau des Herrn der Finsternis und Mutter seines illegitimen Balgs zu begaffen. Hier und da kamen aus dem Publikum Zwischenrufe, meist nach dem letzten Vorhang, mitunter aber auch schon während der Vorstellung. Auch die Pressemeute hätte sie gewiss
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