Bragg 04 - Dunkles Verlangen
Wein kredenzen und das Essen servieren könne.
Dabei sah er unverwandt Jane an. Sie war an diesem Abend wieder einmal umwerfend schön. Besonders betörend war jene für sie typische Mischung aus Unschuld und Sinnlichkeit, die in ihrer Widersprüchlichkeit einen ihrer besonderen Reize ausmachte. Der Earl war kein bisschen hungrig. Er wollte nur eines: Jane beobachten, dem Wohlklang ihrer Stimme lauschen, ihre Gegenwart genießen.
Den ganzen Tag hatte er ständig an sie denken müssen.
Den ganzen Tag hatte ihn die Erinnerung an die leidenschaftliche Nacht verfolgt, die er mit ihr verbracht hatte.
Der Earl wollte an diesem Abend nicht mehr ausgehen. Sein Denken und Fühlen, ja sein ganzes Sein war von ihr erfüllt. Er hatte gehofft, dass sie direkt vom Criterion aus nach Hause kommen würde. Als sie dann tatsächlich erschienen war, hatte er sich alle Mühe gegeben, seine Erleichterung zu verbergen. Vielleicht lag ihr ja auch ein wenig daran, mit ihm zusammen zu sein, wenn auch vielleicht nicht so viel, wie es ihm bedeutete, seine Zeit mit ihr zu verbringen.
Ob sie ihn an diesem Abend bitten würde, das Bett mit ihr zu teilen? Er sehnte sich unendlich nach ihr, selbst in diesem Augenblick hier an diesem Tisch. Seine Serviette konnte seine Erregung kaum verbergen. ja, er war bereit, ein Dutzend Tode zu sterben, um noch heute Abend in ihren Armen zu liegen. Den ganzen Tag hatte er sich mit der Frage herumgequält, ob sie die »Vereinbarung«, die zwischen ihnen bestand, inzwischen womöglich mit anderen Augen sah. Ob sie weiterhin auf getrennten Schlafzimmern beharrte. Allerdings hatte er vor ihrer Antwort so viel Angst, dass er es einfach nicht über sich brachte, sie zu fragen.
Er wusste, dass er egozentrisch war, aber es zog ihn zurück in heimatliche Gefilde. Er wollte mit seiner Familie, seinen Kindern, seiner Frau in Dragmore den Frieden und die Einsamkeit des Landlebens genießen, mit ihnen, mit ihr allein sein. Er fand den Gedanken beglückend.
Aber er versuchte ihn beiseite zu schieben. Denn er wollte Jane unbedingt glücklich sehen, und er wusste nur zu gut, dass ihr die Bühne alles bedeutete.
Er versuchte zu essen, brachte aber kaum einen Bissen herunter. Ihm fiel auf, dass sie genauso wenig Appetit hatte. Immer wieder überlegte er, wie es nach dem Essen weitergehen sollte. Es gab verschiedene Möglichkeiten: Sie konnten zum Beispiel gemeinsam nach oben gehen und an Janes Tür stehen bleiben. Und dann musste es sich entscheiden: Entweder sie sagte einfach Gute Nacht und verschwand allein in ihren Räumen.
Oder aber sie blieb stehen und fragte ihn errötend, gesenkten Blickes und mit leiser, fast ängstlicher Stimme, ob er noch Lust habe, zu ihr hereinzukommen.
Oder besser noch: Sie würde ihn direkt ansehen und ihm allein durch ihren Blick die herrlichsten Freuden des Fleisches in Aussicht stellen, ohne auch nur ein Wort zu sprechen. Und dann würde er in ihr Zimmer folgen, und wenn sie sich dann umdrehte, würde er sich wollüstig auf sie stürzen. Der Earl rutschte unbehaglich auf dem Stuhl hin und her. Einerseits konnte er das Ende des mitternächtlichen Mahles kaum erwarten. Andererseits hatte er genau davor Angst, Angst vor einer Zurückweisung.
Jane seufzte, legte ihr Besteck sorgfältig nebeneinander und gab zu verstehen, dass sie fertig war. Der Earl schob seinen Teller prompt beiseite und rief nach Thomas. Als der Butler ihre Gedecke wegnahm, betrachtete der Earl Janes gesenkten Kopf und ihre kleinen Hände, die auf dem weißen Tischtuch ruhten. Sie hatte nur einen Ring angesteckt, einen Rubin, den sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Ein Armband trug sie nicht. Der Earl beschloss, ihr sobald wie möglich neuen Schmuck zu kaufen. Sie blickte auf, sah ihn ein wenig verunsichert an und bedachte ihn mit einem scheuen Lächeln. Am liebsten hätte der Earl sie an sich gedrückt.
»Kaffee, Mylady? Darf ich Euch noch etwas von der frischen Himbeertarte bringen?«, fragte Thomas.
»Nein, danke«, sagte Jane. »Ich bin fertig.« Sie sah wieder den Earl an, ließ den Blick auf ihm ruhen.
Seine Brust war wie zugeschnürt, er war angespannt. Er entließ Thomas. »Das ist alles für heute, danke.« Dann stand er auf und befreite Jane elegant von ihrem Stuhl, als sie sich ebenfalls erhob. Dabei berührte er sie mit den Händen an der Schulter. Bereits dieser oberflächliche Kontakt ließ ihn vor Begierde erschaudern.
»Nun«, sagte Jane und lächelte fragend.
»Möchtest du noch etwas
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