Bragg 04 - Dunkles Verlangen
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Lindley kämpfte mit sich und verlor wieder einmal. »Also gut. Aber wir brauchen unbedingt frische Pferde. Hol in Gottes Namen deine Sachen. Und vergiss nicht, ein Bad zu nehmen und zu Abend zu essen. Ich hole dich dann später ab.«
Jane willigte in seinen Vorschlag ein. »Danke«, sagte sie ernst und sah ihn dankbar an. Dann drückte sie seinen Arm.
Er legte die Hand unter ihr Kinn und hob es leicht an. Dann wartete er, ob sie zurückwich. Sie tat es nicht. Er wusste, dass es nur Dankbarkeit war, doch er hoffte, dass es mehr sei. Deshalb machte er sich die Situation zunutze – allen guten Vorsätzen zum Trotz. Er neigte sich ein wenig vor und drückte ihr einen zarten Kuss auf die Lippen. Jane kam ihm zwar nicht entgegen, entzog sich ihm aber auch nicht. »Gib mir eine Chance«, sagte Lindley und richtete sich wieder auf.
Sie saß schweigend da.
Die Kutsche hielt vor ihrem Haus. Lindley begleitete sie zum Eingang und wartete, bis sie die Tür aufgeschlossen hatte. Ach hole dich später ab«, sagte er.
»Nochmals ganz herzlichen Dank«, sagte Jane mit belegter Stimme und küsste ihn auf die Wange. Er lächelte und ging zurück zu seiner Kutsche, sie machte die Tür zu.
»Mylady, wo seid Ihr gewesen?«
Jane fuhr erschrocken zusammen und brauchte einen Augenblick, bis sie begriff, dass sie es mit der gut gelaunten Molly zu tun hatte. »Ist Nicole hier?«
»Nicole ist oben und schläft«, sagte der Earl von Dragmore, der in der Tür zum Salon stand.
Jane erbleichte.
»Wo bist du gewesen?«, fragte er beiläufig.
Jane rührte sich nicht von der Stelle. Ihr Herz raste. »Mylady?«, sagte Molly. »Ist alles in Ordnung?«
Jane lehnte sich kraftlos gegen die Tür. Dann hatte er Nicole also doch nicht nach Dragmore gebracht. Dann hatte er ihr kleines Mädchen also doch nicht entführt. Er hatte sie bloß abgeholt und wieder in die Gloucester Street gebracht. Ihre Augen füllten sich mit Tränen – Tränen der Erschöpfung und der Erleichterung. Jane ließ sich rückwärts an der Tür heruntergleiten, bis sie auf dem Boden saß.
»Mylady«, schrie Molly und sank neben ihr in die Knie. »Was ist denn los? Seid Ihr krank?«
Jane war so erschöpft, dass sie sich nicht von der Stelle bewegen konnte. Sie schloss die Augen und lehnte kopfschüttelnd an der Tür. Molly legte ihr die Hand auf die Stirn, um festzustellen, ob sie Fieber hatte.
Er hatte nicht versucht, Nicole zu entführen.
Sie spürte, wie der Earl sie mit seinen starken Armen hochhob. Jane riss erschrocken die Augen auf und wollte schon Protest einlegen. Sein Gesicht war bleich, sein Körper groß, kräftig, muskulös und warm. Ihr Widerwille verebbte einfach. Jane klappte die Augenlider wieder zu und lehnte die Wange an seine Brust, dabei berührte ihr Kinn seine nackte Haut. Sie lächelte.
Er hatte nicht versucht, ihr ihre Tochter wegzunehmen.
Der Earl stand vor Janes Schlafzimmertür und wartete endlos, wie ihm schien. Was war nur mit ihr los? War sie etwa krank? Und was zum Teufel ging ihn das an? Obwohl er sich ihren Betrug immer wieder deutlich vor Augen hielt, konnte er einfach nicht weg von ihrer Schlafzimmertür.
Molly erschien, und der Earl verrenkte sich, um hinter ihrem Rücken einen Blick in das Schlafzimmer zu werfen. Jane lag zusammengekauert auf ihrem Bett und schlief tief und fest. Er sah ihr Profil, ihr üppiges platinblondes Haar, das bis auf den Boden herabfiel. Sie sah aus wie ein Engel, und er spürte plötzlich, wie ein Ruck durch seinen Körper ging. Doch dann machte Molly ihm die Tür vor der Nase zu.
»Wie geht es ihr? Was ist denn mit ihr los? Am besten, du holst einen Arzt«, sagte Nick.
Molly lächelte. »Sie ist nur müde, sonst nichts. Sie ist den ganzen Weg nach Brighton gefahren und wieder zurück, Euer Lordschaft.«
»Was!«
Molly nickte. »Hat kein Auge zugetan«, sagte sie. »Es geht ihr gut, sie ist nur völlig erschöpft.«
»Was zum Teufel hat sie veranlasst, nach Brighton zu fahren? Habe ich denn nicht gesagt, dass ich Nicole hole?«, fragte der Earl und drehte sich nachdenklich um.
Molly hielt klugerweise den Mund.
Der Earl fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Er spürte, wie seine Anspannung etwas nachließ. Eigentlich hatte er Jane noch heute von seiner Entscheidung in Kenntnis setzen wollen. Das musste jetzt noch ein wenig warten. Er versuchte sich zum hundertsten Mal vorzustellen, wie sie seine Mitteilung aufnehmen würde. Verärgert oder unter Tränen und mit hartnäckigem
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