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Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Titel: Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Haenni
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Schatten der Kastanienbäume und nehmen das Gespräch von gestern Nacht wieder auf.
    »Wusstest du, dass diesem Widmann in der Bundeshauptstadt sogar ein Brunnen gewidmet ist?«, beginnt er.
    Ich verneine.
    »Heute belegt das Wasserspiel vor allem eines: Nichts fließt rascher den Bach ab als irdischer Ruhm«, meint er.
    »Inwiefern hilft diese Erkenntnis bei der Lösung unseres Falls?«
    Mein Assistent erläutert: »Widmanns Erben bemühen sich offenbar um die Widerherstellung seines schriftstellerischen Rangs. Widmann verkörperte in der Schweiz Brahms wichtigste männliche Bezugsperson.«
    »Verstehe. Zudem würde sich auch die Forschung wieder vermehrt auf sein Werk konzentrieren. Kennst du dich da aus? Läuft diesbezüglich schon was?«, erkundige ich mich.
    »Es läuft bis jetzt nur der Brunnen. Das immerhin seit 1914.«
    »Wo steht der eigentlich genau?«
    »Am Südende des Hirschengrabens«, weiß Jüre.
    Ich erinnere mich. »Du meinst den kleinen Pavillon gegenüber diesem roten Riesenkunstwerk vor dem Versicherungsgebäude?«
    »Richtig. Vis-à-vis von Ueli Bergers Chribu«, bestätigt er und macht einen gezielten Griff in die Innentasche seiner Jeansjacke. Dieser entnimmt er einen Stift mit Lippenpomade. Bevor mich der körperbewusste Assistent mit weiteren Informationen zum Brunnen versorgt, verkleistert er sein kundiges Mundwerk. Kürzlich habe ich mich nach dem Sinn der schmierigen Aktion erkundigt. Er begründete die Notwenigkeit einer konstanten Fettschicht mit seiner Furcht vor gesprungenen Lippen. Er werde von Albträumen verfolgt, in denen sich ihm tiefe Hautrisse bildeten, wie Gletscherspalten im Sommer. An Stelle von Gletschermilch entsprängen diesen Spalten aber blutige Rinnsale. Der Geschmack von Metall erfüllte jeweils die ganze Mundhöhle, aus deren Tiefe sich verzweifelte Schreie lösten und er entsetzt erwache.
    Der Geplagte steckt den Stift wieder ein und berichtet: »Als Widmann 1911 starb, widmete ihm die Tagespresse ganze Frontseiten. Unzählige Leserbriefe bezeugten Schmerz und Dankbarkeit. Er galt als großer Dichter. Sein Werk erzielte hohe Auflagen.«
    »Heute ist sein Name nur noch Fachleuten geläufig.«
    »So ist es.«
    »Was für ein Typ war er?«, frage ich.
    »Offenheit und Charme sollen das Wesen des Weltbürgers charakterisiert haben.«
    »Ein Schweizer als Weltbürger?«
    Jüre ereifert sich. »Wieso nicht! Allerdings wurde er in Mähren geboren.«
    »Siehst du?«, triumphiere ich. »Doch ein Ausländer.«
    »Erziehung und Bildung erhielt er aber in Liestal, in der Schweiz«, hält mein Assistent dagegen. »In Heidelberg und Jena studierte er Theologie. Zweifel am Sinn seelsorgerischer Tätigkeit ließ ihn ins Lehrfach wechseln.«
    »Geriet er damit nicht vom Regen in die Traufe?«, ermittle ich.
    »Nicht sofort. 20 Jahre stand er als Rektor einer Berner Mädchenschule vor. Er widmete sich erst vollumfänglich der Literatur, als er als Schulleiter nicht wiedergewählt wurde.«
    »Fast wie bei mir«, stelle ich fest. »Ein Rausschmiss bewirkte eine berufliche Veränderung. In Widmanns Fall eine positive. Er stieg vom belächelten Schulmeister zum bewunderten Künstler auf. In meinem Fall kann man geteilter Meinung sein. Weist der Weg vom Lehrer zum Privatdetektiv nach oben?«
    »Erwartest du eine Antwort?«, forscht Jüre nach. »Falls es uns gelingt, den aktuellen Fall zu lösen, werden wir schon Anerkennung finden. Hast du nicht angetönt, dass sich Auf der Maur mehr als nur erkenntlich zeigen will?«
    Unentschlossen wiege ich den Kopf hin und her. »Was hat Widmann denn so geschrieben?«
    »›Die Patrizierin‹ zum Beispiel oder die ›Maikäferkomödie‹. Mit dem Hauptwerk ›Der Heilige und die Tiere‹ erarbeitete er sich einen Ruf in Europa. Alles wurde preisgekrönt.«
    »Heute grämen sich bestenfalls unheilige Patrizierinnen über die Tragödie der ausbleibenden Maikäferschwärme«, spotte ich.
    »In den Höhenflugjahren begleitete Widmann seinen Freund Johannes Brahms auf ausgedehnten Italienreisen und verfasste darüber gefragte Reisebücher«, ergänzt Jüre.
    »Legt der Beleg der engen Freundschaft zwischen den beiden nicht nahe, dass auch der Berner mit einer Abschrift der Violinsonate beschenkt wurde?«, frage ich.
    »Doch. Umso mehr, als eine innoffizielle, private Uraufführung bei Widmann zu Hause stattgefunden hat. Brahms spielte das Piano, sein Freund die Geige. Am 2. Dezember 1886, anlässlich der offiziellen Uraufführung in Wien, musizierte

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