Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
fassungslos zu. Sein Mund steht offen, ohne aber eine einzige Silbe loszuwerden.
Mit der einen Hand sperrt das Unschuldslamm den Lederbeutel wie einen Wolfsrachen weit auf. Mit der andern zieht sie ein Bündel gelblicher Papiere hervor. Ich erkenne das vermisste Manuskript wieder, nähere mich der Diebin und strecke ihr meine offene Hand entgegen. »Geben Sie her, Frau Bornhaus. Das Spiel ist aus!«
Tatsächlich macht sie Anstalten, mir die Papiere auszuhändigen. Aber da geschieht Unerwartetes. In einem schroffen Sinneswandel vollzieht sie eine Vierteldrehung um die eigene Achse und schleudert die Thuner-Sonate ins flackernde Kaminfeuer. Schreie des Entsetzens erfüllen den Salon. Die alten Papiere gehen explosionsartig in Flammen auf.
Die Anwesenden verharren wie gelähmt.
Ich stottere fassungs- und fast tonlos: »Wozu? Wozu?«
»Keine Beweise, keine Schuld«, frohlockt die irre Alte. Sie kichert schadenfroh.
»Aber Frau Bornhaus«, wende ich nach kurzer Schreckpause ein. »Wir haben soeben alle die Noten gesehen. Wir sind Zeugen ihrer Vernichtung geworden. Wozu also? Sie werden Ihrer Strafe nicht entkommen. Gestehen Sie den Diebstahl!«
»Wie wollen Sie denn beweisen, dass es überhaupt die gesuchten Blätter waren, Sie tapferes Fellerlein? Übrigens: Wenn Sie mich noch ein einziges Mal als Diebin bezeichnen, verklage ich Sie wegen Verleumdung.«
Jüre und ich schauen ratlos ins Feuer. Welch sinnlose Vernichtung! Was für ein Verlust für die abendländische Musikgeschichte!
Erst jetzt kniet Auf der Maur vor den Kamin nieder und hantiert verzweifelt mit einem Feuerhaken. Es gelingt ihm, die Flammen etwas einzudämmen. Er fischt ein paar verkohlte Papierfetzen aus der Glut.
Ungehindert verlässt das deutsche Gönnerpaar die traumatisierte Gesellschaft. Bereits im Korridor laufen die beiden den Beamten in die Arme, die soeben die Villa erstürmen. Ich gönn es ihnen.
27
Hauptmann Anton Geissbühler erwartet mich am nächsten Vormittag um 9.30 Uhr.
»Guten Tag, Herr Feller«, werde ich vom gutgelaunten Inspektor begrüßt. »Kann ich Ihnen Kaffee bringen lassen?«
Die Aussprache fängt vielversprechend an. »Guten Morgen, Herr Geissbühler. Ja, gerne«, antworte ich und setzte mich im Besprechungszimmer der Kantonspolizei an einen runden Tisch. Früher empfing Geissbühler noch in seinem Büro. Was für Gründe stecken hinter dem Ortswechsel?
»Leider sind wir gestern zu spät aufgetaucht, um die Zerstörung der Beweismittel zu verhindern«, eröffnet der Hauptmann das Gespräch.
»Stimmt. Bleibt nur zu hoffen, dass ich mich bezüglich der Echtheit getäuscht habe. So fielen wenigstens die materiellen und ideellen Verluste nicht mehr ins Gewicht.«
Der Hauptmann nickt. »Darauf will ich zu sprechen kommen. Ich habe von der Krakauer Polizei soeben Informationen zur Episode mit dem wildgewordenen Automobilisten erhalten.«
Ich horche auf. »So? Ich habe den Vorfall doch gar nicht gemeldet.«
»Nein. Sie nicht. Aber der Besitzer eines demolierten Fahrrads hat Anzeige erstattet. Es gibt offenbar etliche Zeugen. Unter anderem war eine Mutter mit einem Kinderwagen dabei. Ihr Baby soll von herumfliegenden Metallteilen beinahe erschlagen worden sein.«
»Verstehe. Haben Ihre polnischen Kollegen herausgefunden, wer hinter dem Steuer saß?«
»Ja. Der Lenker konnte identifiziert und befragt werden. Es handelt sich um einen Mitarbeiter der Universitätsbibliothek.«
»Der Biblioteka Jagiello ń ska?«
»Genau. So heißt sie. Der Bibliothekar hat nach einem harten Verhör zu Protokoll gegeben, im Auftrag seines Vorgesetzten gehandelt zu haben«, sagt Geissbühler.
»Welches Vorgesetzten?«, frage ich verwundert.
»Professor Marczy ń ski«, bestätigt der Hauptmann.
»Ist das erwiesen?«, vergewissere ich mich.
»Absolut. Der Professor hat seinem Untergebenen unmissverständlich den Befehl gegeben, Ihnen einen Schrecken einzujagen, Herr Feller.«
Ich bin platt. »Wozu das?«
»Damit Sie Ihre Nachforschungen abbrechen und aus Krakau verschwinden«, antwortet Geissbühler.
»Das verstehe ich jetzt nicht«, wende ich ein. »Er vermittelte mir den Eindruck, sich über meinen Besuch zu freuen. Er interessierte sich für die Ergebnissen meiner Abklärungen.«
Hauptmann Geissbühler schenkt Kaffe nach. »Interessiert schon. Aber nicht daran, dass Sie die Echtheit seiner Papiere infrage stellen. Was für eine Blamage für Universität und Bibliothek, wenn sich herausstellen sollte, dass seit
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