Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
Jahrzehnten eine Fälschung konserviert wird.«
»Woher kommt diese Befürchtung?«, erkundige ich mich. »Fast hat es den Anschein, Marczy ń ski selbst könnte in irgendwelche Mauscheleien involviert sein.«
»Das wird sich weisen«, brummt Geissbühler. »Unstimmigkeiten sind auch in Berlin und Warschau aufgetaucht. An der Universität Warschau ist kein Wójciz als Doktorand eingeschrieben.«
»Das ist allerdings eine schlechte Neuigkeit«, stelle ich fest. »Und in Berlin? Kennt man ihn wenigstens dort?«
»Ja. Die Staatsbibliothek zu Berlin hat bestätigt, dass ein Pole den Nachlass Bülow bearbeitet.«
»Wenigstens das.«
»Freuen Sie sich nicht zu früh, Herr Feller«, warnt der Hauptmann. »In Berlin hat man sich nämlich sehr darüber gewundert, dass Teile des Nachlasses verkauft werden sollen. Entsprechende Rückfragen legen nahe, dass Wójcik völlig eigenmächtig gehandelt hat.«
»Das ist ja ein Ding! Aber wie konnte er so unvorsichtig sein? Er wird nicht ernsthaft angenommen haben, dass ein Verkauf unbemerkt bliebe?«
»Richtig. Also stehen zwei Varianten zur Wahl: Entweder hat der Pole unter falscher Identität agiert. Dafür spricht, dass er stets auf schnelle Entscheide seitens der Käuferschaft gedrängt hat. Er hat rasch kassieren und untertauchen wollen, bevor in Berlin der Verlust aufgeflogen wäre. Allerdings dürfte es den Besitzern schwer fallen, die Existenz bisher unentdeckter Papiere überhaupt zu belegen. Die zweite Variante ist jene, wonach der Doktorand die Papiere gar nicht im Nachlass aufgestöbert, sonder eigenhändig gefälscht hat.«
»Darum seine Verhaftung? Jetzt erst verstehe ich. Es hat mich überrascht, dass Sie Frau Bornhaus verdächtigt und trotzdem Herrn Wójcik arretiert haben.«
»Unsere Geschichte kennt drei Täter«, räumt Geissbühler ein. »Erstens den falschen Doktoranden, der als Hehler aufgetreten ist. Dann Frau Bornhaus, die sich als großzügige Gönnerin zu profilieren hoffte. Schließlich ihr Ehemann, der sich jetzt mit dem Vorwurf des Totschlags konfrontiert sieht. Sein Vergehen gewichtet schwerer, als die Taten der beiden andern zusammen. Das Paar hat bereits eingeräumt, Bernhard Bachmann in seinem Heim besucht zu haben. Angeblich in der Absicht, ihm die Noten abzukaufen«, stellt Geissbühler dar, erhebt sich und öffnet ein Fenster. Das Donnern eines einfahrenden Güterzugs schallt vom Bahnhof herüber.
»Woher wussten die beiden, wo sich die Papiere befanden? Und wie konnten sie annehmen, dass ihnen Bachmann etwas verkaufen würde, das ihm gar nicht gehört?«
Hauptmann Geissbühler setzt sich wieder. »Noch Kaffee?«
»Nein, danke.« Ich bin so schon nervös.
»Dass Bachmann die Noten aufbewahrte, wussten sie offenbar von Wójcik. Er ließ sich diesen entscheidenden Tipp sogar vergolden. Andererseits erwartete er von Auf der Maur Schadenersatz. Vom Verschwinden der Sonate konnte der Schlaumeier also doppelt profitieren.«
»Ohne je den Beweis antreten zu müssen, dass es sich zweifelsfrei um die verschollenen Sätze handelte«, stelle ich fest.
»Genau«, bestätigt der Hauptmann. »Wie gesagt, haben die beiden Deutschen Bachmann ein Angebot unterbreitet. Das wurde von ihm offenbar abgelehnt. Darauf muss es zu einem Handgemenge gekommen sein, bei dem sich der Geiger tödlich verletzte. Statt dem blutenden Opfer erste Hilfe zu leisten, haben Bornhausens die Noten entwendet und sich aus dem Staub gemacht. Dass sie noch die Kühnheit an den Tag legten, danach das Konzert zu besuchen, zeigt allenfalls ihre fanatische Brahmsverehrung«.
»Aber wie brachte es die Musikliebhaberin übers Herz, die kostbaren Schriften zu vernichten? Bei ihrer Ehrfurcht vor dem Meister?«, wundere ich mich.
Geissbühler nickt verständnisvoll. »Erstens sollte die Verbrennung wohl den Zusammenhang mit Bachmanns Tod verunklären. Sie wollte ihrem Mann helfen. Zum andern könnte sie zur Überzeugung gelangt sein, ihren guten Namen für Fälschungen riskiert zu haben. Das Ehepaar Bornhaus fand genügend Zeit, sich im Hotel das Skript gründlich anzusehen«, antwortet Hauptmann Geissbühler.
»Das haben sie alles zugegeben?«
»Nein. Vorerst nur den Versuch, bei Bachmann die Noten käuflich zu erwerben. Sie behaupten, er hätte sie ihnen daraufhin freiwillig zur Prüfung ausgehändigt. Leider ohne Beleg. Von Diebstahl könne keine Rede sein. Dass der Geiger ausgerechnet am Tag ihres Besuchs gestürzt sei, lasse sie zugegebenermaßen als Diebe und Mörder aussehen.
Weitere Kostenlose Bücher