Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
er, noch leicht schlaftrunken nach der späten Rückkehr von der Langen Nacht, angerufen und sich vergewissert, dass Dennis Zeller zu Hause anzutreffen war. Er hörte das Quietschen der Tür, sah einen jungen Mann mit vom Schlaf gezeichneter Miene aus dem Haus treten. Er hatte Mühe, ihn zu identifizieren, fand nur wenig Gemeinsamkeiten mit der Person auf dem Foto über Lisa Haags Nachtkonsole.
»Sie wollen zu mir?«
Braig drückte die Klinke nieder, schob die Gartenpforte zurück, ging zum Haus. »Sie sind Dennis Zeller?«
Sein Gegenüber rieb sich die Augen, versuchte, sich auf ihn zu konzentrieren. »Ja. Und wer sind Sie?«
Er ließ sich mit seiner Antwort Zeit, stieg die drei Stufen hoch, bis er unmittelbar vor dem jungen Mann stand, streckte ihm seinen Ausweis entgegen. »Braig. Ich bin Polizeibeamter.«
»Polizeibe …« Zeller hielt mitten im Wort inne, schüttelte den Kopf. »Was, was wollen Sie von mir?«
»Mit Ihnen sprechen«, erklärte er, ins Innere des Hauses deutend. »Unter vier Augen. Können wir?«
Zeller schien nicht zu begreifen, trat erst zurück, als Braig ihn mit ausgestreckter Hand in die Diele schob, wies dann auf die Treppe, die nach oben führte. »Aber wundern Sie sich nicht, wie es aussieht. Ich habe nicht aufgeräumt.«
»Das ist kein Problem«, antwortete der Kommissar. »Ich habe schon genug unaufgeräumte Wohnungen gesehen.«
Zeller keuchte vor ihm die Treppe hoch, bog nach rechts in einen geräumigen, von der Dachschräge gezeichneten Raum ab, der Schlaf-, Wohn- und Arbeitszimmer zugleich zu sein schien. Ein breites Bett auf der einen, Schreibtisch, Computer, zwei Stühle und ein schmaler Schrank auf der anderen Seite, neben der Tür ein flauschiges Zweisitzer-Sofa, davor ein niedriger Glastisch auf einem dicken ockerfarbenen Teppich rundum ein zweckmäßig, zugleich jedoch auch behaglich eingerichteter Raum. Der junge Mann sprang, inzwischen offensichtlich vollends wach geworden, leichtfüßig hin und her, klaubte die quer über das Zimmer verstreuten Kleidungsstücke, Bücher und Zeitungen auf, bat den Besucher, auf dem Sofa Platz zu nehmen.
»Was wollen Sie von mir?«, wiederholte er dann, leicht außer Atem, seine Frage.
»Ich habe gestern schon mit Ihren Eltern …«
»Die sind weg. Bei Freunden«, unterbrach Zeller seinen Besucher.
Braig nickte, hatte die Information heute Morgen schon am Telefon vom Vater seines Gesprächspartners erhalten. »Lisa«, sagte er dann, das Gesicht des jungen Mannes genau beobachtend, »Lisa Haag.«
Zeller hatte die Kleidungsstücke auf einem Stuhl abgelegt, breitete ein dickes Kissen auf den Boden neben den Glastisch, ließ sich darauf nieder. »Lisa?« Er sah zu Braig hoch, schaute ihm geradewegs in die Augen. »Was ist mit ihr?« Ein offener fragender Blick, nicht der Ansatz von Unsicherheit.
»Sie sind befreundet?«
Zeller zuckte mit der Schulter, nickte dann mit dem Kopf. »Ja. Wieso interessiert Sie das?«
»Wann haben Sie Lisa zum letzten Mal gesehen?«
Der junge Mann warf seinen Kopf zurück, überlegte. »Letzten Sonntag.«
»Heute vor einer Woche?«
»Ja. Wieso?«
»Das ist aber lange her. Eine ganze Woche. Für zwei Leute, die miteinander befreundet sind. Ein Liebespaar, meine ich.«
Zeller seufzte laut. »Ja, da haben Sie Recht. Obwohl ich nicht verstehe, was das mit der Polizei zu tun haben soll.« Er schaute seinem Besucher in die Augen, wich Braigs Blick nicht aus.
»Am Freitag«, fragte der Kommissar. »Wo waren Sie da?«
»Wo wohl? An der Uni natürlich.« Zeller zuckte wieder mit der Schulter. »Das Semester läuft. Vorlesung und Seminar.«
»Darf ich fragen, was Sie studieren?«
»Geografie, Mathe und Chemie. Fürs Lehramt.«
»Und am Freitagabend? Was haben Sie da unternommen?«
»Am Freitagabend?« Der junge Mann überlegte nicht lange. »Ich war mit Freunden zusammen.«
»Hier?«
»In Tübingen. Unsere Expedition besprechen.«
Braig glaubte zu verstehen. »Die Höhle?«
»Genau. Unsere Seminararbeit. Wir erforschen einen kleinen Teil des Höhlensystems auf der Alb bei Gomadingen.«
»Um wie viel Uhr etwa war das? Die Besprechung, meine ich.«
»Ab Sechs. 18 Uhr.«
»So früh?«, fragte Braig.
»Na ja, was heißt früh«, erwiderte Zeller, »wir hatten eine Menge Arbeit vor uns und gestern, also am nächsten Morgen, fuhren wir wieder hin, in Begleitung unseres Profs. Da musste alles stehen, schließlich geht es auch um die Note.«
»Und Sie selbst waren am Freitagabend um 18 Uhr mit diesen
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