Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
Donnerstag zum ersten Mal bei ihr war, lernte ich ihren Mann kennen. Ich habe ihn vorhin sofort wieder erkannt.«
»Und Sie glauben wirklich, dass das Phantombild so exakt ausfällt, dass Sie sich das Urteil erlauben können, ausgerechnet diesen Binninger zu identifizieren.«
»Schiek – Sie wissen, wie akribisch er arbeitet – hat es nach den Angaben Annika Jungs angefertigt. Sie behauptet, den Mann gesehen zu haben, genau in dem Moment, als er ihren Freund überwältigte. Zudem haben wir das Autokennzeichen Binningers: Eine Augenzeugin schilderte, wie sie etwa zum Zeitpunkt der Tat eine mit einer Kapuzenjacke bekleidete Gestalt, genau wie Annika Jung sie ebenfalls beobachtet hatte, zum Parkplatz unterhalb des Schlosses spurten und mit dem Auto davonrasen sah, das auf Binninger zugelassen ist.«
»Wie sieht es mit Fußabdrücken, Faserspuren und so weiter auf dieser Aussichtskanzel aus?«
»Die Techniker haben unter anderem an der Brüstung verschiedene Faserpartikel entdeckt. An mehreren Stellen dort. Wir müssen sie mit Binningers Kleidung vergleichen, vielleicht haben wir Glück.«
»Dann versuchen wir es«, hatte Bockisch sich einverstanden erklärt. »Morgen früh, 5.30 Uhr, volles Programm. Ich kümmere mich um die Unterschrift des Ermittlungsrichters.«
Nathalie Binninger fiel es schwer, dem Glauben zu schenken, was sie an diesem frühen Montagmorgen gegen 5.40 Uhr vor sich sah. »Sie?«, fragte sie, sichtbar verwirrt, Neundorf und ein halbes Dutzend zivil gekleideter Kriminalbeamter vor ihrer Haustür zu erblicken.
»Es tut mir Leid, dass wir Sie so früh schon stören, Frau Binninger«, erklärte die Kommissarin, »aber diesmal möchte ich zu Ihrem Mann. Ist er zu Hause?« Sie sah das zustimmende Kopfnicken der Frau, hörte ihre überraschte Frage. »Aber was wollen Sie jetzt von ihm? Doch nicht wegen …« Sie ließ den Rest ihres Satzes offen, deutete zaghaft auf die Verletzung in ihrem Gesicht.
»Nein, nicht deswegen«, antwortete Neundorf, »dürfen wir eintreten?« Sie hörte Schritte im Inneren, sah die mit einem Hausmantel bekleidete, verschlafen wirkende Gestalt Binningers ins Licht der Diele treten.
»Was ist hier so früh los?«, maulte er.
»Herr Binninger, mein Name ist Neundorf, vom LKA, wir kennen uns, Sie erinnern sich?« Sie merkte, wie der Mann zusammenzuckte, dann erstaunt ihre Kollegen betrachtete, die sich vor der Haustür aufgebaut hatten. »Hier habe ich die richterliche Anordnung zu einer Hausdurchsuchung. Wenn Sie unsere Spurensicherer bitte an Ihnen vorbeilassen könnten?«
»Wie bitte?« Binninger schien seine Überraschung überwunden und neue Kraft geschöpft zu haben. »Sie wollen …«
»Eine Hausdurchsuchung, ja«. Sie reichte ihm das formelle Schreiben mit der richterlichen Erlaubnis, schob ihn zur Seite, winkte den Beamten, wartete, bis alle das Haus betreten hatten. »So, und jetzt werden wir beide uns eingehend unterhalten.«
»Wir beide?«
»Unter vier Augen, ja.« Sie sah die Verblüffung Nathalie Binningers, packte ihren Mann an der Schulter, drückte den Widerstrebenden in den großen Wohnraum, in dem sie erst am Samstagmorgen wieder von seiner Frau empfangen worden war, drehte sich zu ihr um. »Es dauert nicht lange. Ich muss allein mit ihm sprechen.«
Sie schob ihn vollends in das Zimmer, warf ihren Kopf zurück, als er sich erbost von ihr losriss, wartete, bis er auf dem Sofa Platz genommen hatte.
»Mein Rechtsanwalt«, verlangte er, »ich lasse mich nicht länger so behandeln. Ich will mit meinem Rechtsanwalt sprechen.«
»Damit Sie ihm erzählen können, wie brutal Sie diese Woche wieder Ihre Frau verschlagen haben? Der wird Sie beglückwünschen zu dieser großen Tat, garantiert!« Neundorf merkte, wie er zusammensackte, giftete ihn unvermindert an. »Bevor Sie Ihren Anwalt holen, hören Sie sich erst einmal an, was ich Ihnen zu sagen habe. Vorgestern Morgen, gegen 11 Uhr, wurden Sie im Hof von Schloss Lichtenstein gesehen. Auf einer Aussichtskanzel, um es genauer zu sagen. Wir haben Augenzeugen, die alles verfolgt haben, dazu genügend Spuren; Ihre Kleidung, Ihre Schuhe und so weiter, Sie wissen ja sicher, wie raffiniert die Methoden sind, über die wir inzwischen verfügen. Warum haben Sie Michael Napf ermordet?« Sie trat zur Tür, schaltete die Strahler ein, die, wie sie vom Donnerstagmorgen noch wusste, das Sofa in grelles Licht setzten, stieß den Mann zurück, als er seinen Platz verlassen wollte. »Los jetzt, weshalb haben Sie Napf
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