Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
schlimmer als in jeder Drogerie quoll ihm entgegen.
»Darf ich kurz reinkommen?«
Sie verzog ihr Gesicht fast bis zur Unkenntlichkeit, schien zu allem bereit, nur nicht, sich auf einen Polizeibeamten einzulassen, zeigte deutlich ihren Unwillen. »Was hab ich denn jetzt schon wieder verbrochen?«
»Nichts«, antwortete er, »überhaupt nichts. Es geht nicht um Sie.«
»Sondern?« Die Skepsis prägte ihr Gesicht wie ihre Stimme.
»Jetzt lassen Sie mich doch endlich in die Wohnung.« Sie seufzte laut, schob die Tür wieder zu, um sie zu entriegeln, winkte ihn dann in die Wohnung. Er nahm einen letzten Atemzug Treppenhausluft, trat ein, wartete, bis sie die Tür verschlossen hatte und ihn in ein kleines gemütliches Wohnzimmer bat. Ein helles Dreisitzer- Sofa, zwei schmale Sessel, ein rechteckiger Tisch und eine Vitrine. Mitten auf dem Sofa auf einem weichen Kissen eine schwarze, schlafende Katze.
»Von welcher Abteilung sind Sie?«, fragte sie. »Sitte? Ich kenne Sie nicht.«
Das Zimmer duftete fast genauso intensiv wie der Vorraum. Braig nahm auf dem Polster unmittelbar neben der Katze Platz, sah, wie das Tier unbeeindruckt alle Viere von sich streckte und wohlig gähnte.
»Mord«, antwortete er, »mit der Sitte habe ich nichts zu tun.«
»Mord? Und da kommen Sie zu mir?«
Er griff in seine Jacke, zog das Bild des Toten vor, das Rauleder ihm ausgedruckt hatte. »Um diesen Mann geht es«, erklärte er, schob das Foto über den Tisch.
Sie hatte in einem der Sessel Platz genommen, betrachtete neugierig Braigs Mitbringsel. »Und? Was ist mit ihm?«
»Sie kennen ihn?« Er musterte prüfend ihr Gesicht, versuchte, jede Regung zu erkennen.
»Irgendwas ist faul an der Sache, ja?« Sie hielt ihren Blick auf das Foto gerichtet, sah nicht zu ihm her.
»Was soll faul daran sein?«
»Na ja, wenn Sie sich eigens zu mir her bequemen.«
»Der Mann ist tot«, antwortete er.
»Also, das habe ich auch schon begriffen«, meinte sie.
»Sie kennen ihn?«, wiederholte er.
»Wieso kommen Sie damit zu mir?« Die Frau schien von Kopf bis Fuß von Misstrauen erfüllt. »Ich habe nichts damit zu tun.«
Braig schüttelte den Kopf. »Das behauptet kein Mensch. Er trug Ihre Telefonnummer bei sich.«
»Und deshalb versuchen Sie jetzt, mich da mit reinzuziehen?«
»Nein. Das versuche ich nicht.« Er betrachtete sie eingehend, als sie endlich den Blick von dem Bild zu ihm herwandte, überlegte, ob er es riskieren konnte, ihr zu offenbaren, dass er auf der Suche nach der Identität des Toten war und bisher überhaupt nichts über den Mann wusste. Was, wenn sie in irgendeiner Weise in das Verbrechen involviert war und ihm deshalb einen falschen Namen präsentierte, um ihn auf eine falsche Spur zu lenken?
»Also gut«, erklärte sie plötzlich. »Warum auch immer Sie damit zu mir kommen, ich habe mal kurz mit ihm gesprochen.«
»Gesprochen?«, fragte er. »Wann?«
Sie blickte fragend zu ihm her. »Vor vier Wochen vielleicht. Es kann auch schon sechs oder sieben Wochen her sein. So genau weiß ich das nicht mehr. Es war im Mistral. Sie kennen die Kneipe?«
Braig schüttelte den Kopf.
»Nicht weit von hier«, erklärte sie, »Sie sind wirklich nicht von der Sitte.«
»Nein. Ich habe es Ihnen doch erklärt. Was haben Sie mit ihm gesprochen? Geschäftliches?« Er benutzte für das letzte Wort einen anzüglichen Tonfall.
Die Frau runzelte die Stirn, warf ihm einen missbilligenden Blick zu. »Nein, nicht was Ihr bürgerliches Bullenhirn jetzt wieder denkt. Im Gegensatz zu seinem Begleiter hatte er daran kein Interesse.«
»Aber wieso hat er sich dann Ihre Telefonnummer notiert?«
»Er selbst? Keine Ahnung.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur noch, dass sein Freund, oder nein, Freund ist das falsche Wort, es handelte sich wohl eher um einen Geschäftspartner oder etwas Ähnliches, der schon etwas angetrunken war. Der nahm jedenfalls einen Stift, fragte mich nach meiner Nummer und schrieb sie dann mit flapsigen Worten, also etwa: Falls du, lieber Marc, doch mal Lust auf die Bibi hast, hier kannst du sie erreichen auf den Rand einer Zeitung.«
»Auf den Rand einer Zeitung?«
»Ja, diesen schmalen Streifen am Rand neben den Artikeln.«
»Und dann?«
»Na, er riss den Streifen mit der Nummer ab und gab ihn ihm.«
»Und dieser Marc nahm ihn an sich?«
»Was weiß ich. Ich glaube schon, ja.«
Braig versuchte, sich das Fundstück aus der Hosentasche des Toten in Gedanken vor Augen zu holen, glaubte, dass es sich dabei
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