Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
»die Kameras sind zwar relativ weit voneinander postiert, um verschiedene Bereiche des Verkaufsraumes abzudecken, aber während sie sich drehen, erfassen sie für einige Sekunden auch den Standort der jeweils anderen Kamera. Das bedeutet …« Sie schwieg einen Moment, sich die Konsequenzen der Überlegung genau vor Augen zu holen, hörte, wie Dolde ihren Satz vervollständigte.
»Wenn wir Glück haben, war die eine Kamera in dem Moment, in dem der Täter die andere zerstörte, genau in diese Ecke des Raumes ausgerichtet. Und selbst, wenn sie nicht dorthin zielte: Die Überwachungskameras erfassen ihre Umgebung normalerweise in einem weiten Winkel. Es ist also durchaus möglich, dass wir den Kerl wenigstens in diesem Moment zu sehen bekommen. Vielleicht! Wir werden sehen.«
»Ihr kümmert euch darum?«
»Sobald wir Zeit haben, ja. Vorher müssen wir uns aber noch um die Kasse kümmern. Der Mann behauptete angeblich, der eine habe direkt in die Kasse gegriffen, richtig?« Dolde richtete seinen Blick auf Ohmstedt, sah dessen zustimmendes Nicken.
»Einer der Schutzpolizeibeamten hat mit ihm gesprochen, ja.«
»Wir kümmern uns jedenfalls um die Abdrücke, auch wenn die dort wahrscheinlich zahlreicher sind als Ameisen in einem Ameisenhaufen, okay?«
Ohmstedt nickte ihm zu, bemerkte Neundorfs fragenden Blick.
»Du hast nicht persönlich mit dem Überfallenen Mann sprechen können?«
»Er wurde gerade abtransportiert, als ich kam«, antwortete er. »Der Notarzt wehrte jeden Versuch ab. Der Mann stand sichtbar unter Schock. Aber Peter Frei, einer der uniformierten Kollegen, konnte ihm vorher ein paar Worte entlocken. Ich kenne ihn von anderen Einsätzen. Er war mit seiner Kollegin als Erster hier.« Ohmstedt zog einen kleinen Block aus seiner Tasche, las den Namen des Opfers ab. »Herbert Wössner, so heißt der Verkäufer. Frei schätzt ihn auf 60 bis 65. Er wohnt in Marbach, sie haben seine Frau bereits informiert. Verletzt wurde er zum Glück nicht, also jedenfalls nicht körperlich. Über seine psychischen Wunden kann man jetzt noch nichts sagen, aber das wird wohl eine Weile dauern, so wie der arme Kerl getroffen schien. Wössner soll von zwei Tätern gesprochen haben, beide angeblich vermummt. Sie sollen gemeinsam in den Laden gekommen sein, der eine nur bis zur Tür, der andere an die Kasse. Dann hätte der an der Kasse eine Waffe gezückt. Genauer kann ich es nicht sagen. Frei meint, Wössner habe wie in Trance den Hergang des Überfalls immer wieder vor sich hin gestammelt. Ob er wirklich so stattgefunden habe, müssten wir selbst ermitteln.«
»Das ist mir schon klar«, meinte Neundorf. »Aber der Überfallene muss wirklich traumatisiert gewesen sein, als er das vor sich hinbrabbelte. So kann es nicht abgelaufen sein. Die haben zuerst die Kameras zerstört, bevor sie zur Kasse kamen.«
»Das ist richtig, ja.« Ohmstedt hüllte sich fester in seine Jacke, rieb sich die Arme. Die kalten Morgentemperaturen ließ ihn frösteln. »Aber das genau zu eruieren, wird noch eine Weile dauern. Ich habe gerade mit dem zuständigen Arzt im Ludwigsburger Klinikum telefoniert. Wössner ist frühestens heute Nachmittag ansprechbar, erklärte der. Der Mann stand unter Schock, er bekam ein Sedativum. Kein Gespräch vor 14 Uhr, besser noch etwas später, der Mediziner bestand darauf.
Du kannst nach Hause gehen, eine Runde schlafen. Ich denke, du hast es nötig, nach der durchwachten Nacht, oder?«
Neundorf hatte dem Argument ihres Kollegen nichts entgegenzusetzen.
8. Kapitel
Noch auf den letzten Stufen der Treppe, kurz vor dem Verlassen des Gebäudes, hörte Braig sein Handy. Er lief hinab ins Erdgeschoss, nahm das Gespräch an. Rauleder war in der Leitung.
»Du hast einen Moment Zeit?«, fragte er. »Wir wissen jetzt, wo es passiert ist.«
»Ja, bitte!«, antwortete Braig. Er postierte sich unweit der Eingangstür, konzentrierte sich auf das Gespräch. »Ihr seid noch in der Liederhalle?«
»In der Toilette, ja. Die Spuren sind eindeutig. Wir haben keinen Zweifel mehr, wie es ablief. Nach ausführlicher Rücksprache mit Dr. Schäffler.«
»Der Gerichtsmediziner ist noch bei euch?«
»Nein, der ist schon lange weg. Wir haben uns telefonisch mit ihm unterhalten.«
»Zu welchem Ergebnis seid ihr gekommen?«, fragte Braig. Er hatte den intensiven Zitrusduft eines Reinigungsmittels in der Nase, mit dem das Treppenhaus vor nicht allzu langer Zeit bearbeitet worden sein musste, wedelte sich mit der freien Hand frische
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